Maximilian Becker schreibt über die Notwendigkeit und Chancen einer Vergesellschaftung von Energiekonzernen. Der Beitrag erschien zuerst auf dem OXI-Blog.
Es braucht gesellschaftliche Kontrolle über unsere Energieversorgung, damit die Energiewende nicht länger zum Wohle der Konzerne verschleppt, sondern zum Wohle von Mensch und Natur beschleunigt wird.
Das vergangene Jahr verdeutlichte, wie fatal die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern ist. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine heizte die Inflationsspirale an, insbesondere die Energiepreise stiegen dramatisch. Der Preis für Erdgas verdoppelte sich im Frühjahr 2022 binnen weniger Wochen. Ähnlich, wenngleich nicht so dramatisch, war es bei den Strompreisen. Versorger kündigten infolgedessen an, die Abschlagszahlungen für Endverbraucher*innen zu vervielfachen. Millionen Privathaushalte und zahlreiche Unternehmen drohten in existenzielle Krisen abzustürzen. Doch das war nur die eine Seite der Medaille: Für die großen Energiekonzerne waren die gestiegenen Preise ein lukratives Geschäft. Eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung schätzte die Übergewinne der fossilen Industrie in den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 allein in Deutschland auf 113 Milliarden Euro. Der Energieriese RWE verdoppelte seinen Gewinn im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr auf mehr als 6,3 Milliarden Euro. Auch die Geschäftszahlen anderer Energiekonzerne waren im Jahr 2022 ähnlich blendend. Für die einen bedeutete die Energiekrise einen wahren Goldrausch, für die anderen existenzielle Gefahren. Die hohe Inflation setzte eine gigantische Umverteilungswelle von unten nach oben in Gang. Es zeigte sich: Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern trifft Millionen Menschen hierzulande in Krisensituationen mit immenser Wucht. Immer mehr Menschen rutschten in Energiearmut ab – warme Mahlzeiten oder eine warme Wohnung waren für sie nicht länger selbstverständlich.
Die Politik reagierte zwar mit umfangreichen Entlastungsmaßnahmen, diese zielten jedoch vor allen Dingen darauf ab, Menschen und Unternehmen finanziell zu entlasten, während die enormen Zusatzprofite der Energiekonzerne nicht angetastet wurden. Das schaffte zwar Abhilfe in finanziellen Nöten, manifestierte aber die Umverteilung von unten nach oben. Anstatt mit Maßnahmen wie einer Übergewinnsteuer zumindest einen Teil der Kosten für die Entlastungspakete zu refinanzieren, zahlte neben der Bevölkerung auch die Bundesregierung die Profite der Energiekonzerne. Eine derart ambitionslose und kapitalfreundliche Politik hat im letzten Jahr die Suche nach langfristigen Lösungen zum Wohle der Gesellschaft gefördert. Nicht zuletzt deshalb flammte im vergangenen Herbst eine Debatte auf, den Energiesektor grundlegend umzugestalten. Unter anderem von der Gruppe RWE enteignen, auf einer großen Vergesellschaftungskonferenz in Berlin sowie von der Partei DIE LINKE wurde vorgeschlagen, den Energiesektor in die öffentliche Hand zu überführen. Der Gedanke dahinter ist denkbar einfach: die Gesellschaft kann es sich nicht länger leisten, dass fossile Konzerne über unsere Energieversorgung bestimmen und dabei auf dem Rücken der Menschen und des Klimas Milliardengewinne machen. Im Angesicht von Klima- und sozialer Krise sei vielmehr das Gegenteil von Nöten: ein Energiewesen unter gesellschaftlicher Kontrolle. Dies würde nicht nur den Profitdruck aus dem System nehmen, sondern ebenso den Weg in eine beschleunigte Energiewende ebnen. Den Energiesektor zu vergesellschaften sei somit ein sozial und klimapolitisch schlichtweg notwendiges Transformationsprojekt.
Doch obwohl die Vorstöße medial auf durchaus großes Echo stießen, ist die Debatte um die Vergesellschaftung des Energiesektors noch ganz am Beginn. Es existieren kaum Beiträge, die sich mit konkreten Perspektiven der Enteignung auseinandersetzen. Während sich der Autor dieses Artikels im »Jacobin« positiv auf die Idee der Vergesellschaftung bezog, äußerten sich beispielsweise der Ökonom Uwe Witt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie die Wissenschaftlerin Sandra Lust skeptisch zum Vorstoß. In einem Band, der in Folge der Vergesellschaftungskonferenz entstand, sowie einer kürzlich erschienenen Wortmeldung von RWE enteignen wird sich intensiv mit den bewegungsförmigen Aspekten des Themas auseinandergesetzt. Alle Beiträge stellen erste Aufschläge zur Vergesellschaftungsidee dar, beziehen sich kaum wechselseitig auf geäußerte Argumente oder entwickeln Ideen weiter. Darüber hinaus gibt es kaum breiter diskutierte konzeptionelle Vorschläge zur Vergesellschaftung im Energiesektor. Diese müssen allerdings entwickelt werden, um die abstrakte Idee der Vergesellschaftung zu einem gesellschaftlich hegemoniefähigen Projekt zu machen.
Der vorliegende Artikel soll nun dazu beitragen, die Debatte weiterzuführen. Ausgehend von den Rahmenbedingungen fragt er, an welchen Stellen Vergesellschaftungen möglich und sinnvoll sein könnten. Zudem wird einem in der bisherigen Debatte geäußerten Argument nachgegangen, das Vergesellschaftungen angesichts der fortschreitenden Energiewende nicht für ein geeignetes Instrument hält. Am Schluss werden, den Erkenntnissen des Artikels folgend offene Punkte benannt, die für weitere Diskussion künftig zu beantworten sind. Ganz grundlegend soll der Artikel damit einen Beitrag zur Frage leisten, ob eine Vergesellschaftung im Energiesektor aufgrund politischer und ökonomischer Rahmenbedingungen überhaupt sinnvoll ist und entsprechend ein lohnendes Kampagnenziel für die gesellschaftliche Linke darstellt.
Nicht immer sinnvoll. In der bisherigen Debatte wird immer wieder auf das Beispiel Deutsche Wohnen & Co. enteignen Bezug genommen. Der Initiative gelang in Berlin, die Idee der Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne so zu popularisieren, dass sich die Mehrheit der Berliner*innen in einem Volksentscheid für die Enteignung aussprach. Wie Jenny Stupka im Ende Gelände Podcast jedoch völlig zurecht bemerkt, lassen sich die Ausgangslagen im Wohnungs- und Energiesektor nur bedingt vergleichen. Die Idee der Vergesellschaftung im Energiesektor muss daher neu gedacht werden. Dazu ist es im ersten Schritt erforderlich, die Spezifika des Energiesektors herauszuarbeiten und zu prüfen, ob und unter welchen Bedingungen Vergesellschaftungen im Energiesektor sinnvoll sein können. Die These, der nachfolgend nachgegangen wird, lautet daher: Vergesellschaftungen im Energiesektor sind – im Gegensatz zum Wohnungssektor – nicht an allen Stellen sinnvoll, sondern nur in bestimmten Bereichen. In anderen Bereichen sind Hebel abseits der Vergesellschaftung notwendig – allerdings öffnet die Energiewende auch hier Möglichkeitsfenster, Verteilungskämpfe zwischen Gesellschaft und Natur auf der einen und Kapital auf der anderen Seite neu zu führen.
Der marktförmige Energiesektor
Der Aufbau und die Funktionsweise des Energiesektors ist komplex und kann hier nicht umfassend dargestellt werden. In seiner heutigen Gestalt ist er geprägt von jahrzehntelangem neoliberalen Einfluss und tief verankerten, unterschiedlichen Verwertungslogiken. Viel mehr als Teil einer öffentlichen Daseinsvorsorge ist er für viele Akteure ein lukratives Geschäftsmodell. Es gibt verschiedene Zugänge, die Funktionsweise des Energiesektors zu erklären. Nachfolgend wird dies anhand von vier Stufen der (Mehr-)Wertschöpfung gezeigt.
(1) Die erste Stufe der (Mehr-)Wertschöpfung im Energiesektor ist die Gewinnung der Energieträger. Diese ist – insbesondere bei den fossilen Energien – oftmals in Oligopolen und teils in Monopolen organisiert und erfolgt über Tagebaue, Bohrinseln oder andere Förderanlagen. Die meisten der in Deutschland verbrauchten fossilen Energieträger kommen aus dem Ausland und werden dort nicht selten unter sozial und ökologisch destruktiven Bedingungen extrahiert. Insbesondere bei Steinkohle, Mineralöl und Erdgas ist Deutschland nahezu vollständig von den Importen aus anderen Ländern abhängig, da es kaum bzw. keine natürlichen Vorkommen gibt. Aus einem nationalen Kontext heraus gedacht ist eine Vergesellschaftung der Orte der Energiegewinnung damit weitestgehend nicht möglich, es sei denn, Orte befinden sich in Deutschland, wie beispielsweise die noch aktiven Braunkohletagebaue im rheinischen Revier oder der Lausitz.
Die Gewinnung erneuerbarer Energien findet oft dezentraler statt. Die Produktionsstrukturen sind wesentlich kleinteiliger als bei der Gewinnung fossiler Energien. Im Rahmen der Energiewende eröffnen sich Räume, die Energieproduktion zukünftig stärker unter gesellschaftliche Kontrolle zu stellen. Jedoch haben auch, wie wir später sehen werden, die fossilen Konzerne das Feld für sich entdeckt. Daher wird die Ausgestaltung der Eigentumsordnung bei der Energieproduktion künftig gesellschaftlich umkämpft sein. Es geht bei den erneuerbaren Energien also weniger darum, bestehende Strukturen zu vergesellschaften, als vielmehr darum, neu entstehende Anlagen zur Energiegewinnung gemeinwohlorientiert zu betreiben und sie einer Marktlogik zu entziehen.
(2) Die zweite Stufe der (Mehr-)Wertschöpfung im Energiesektor ist der Handel mit Energie. Strom wird über ein bestimmtes Marktdesign an Börsen gehandelt. Problematisch hierbei ist, dass der Strom warenförmig gehandelt wird und damit dem freien Spiel der Marktkräfte ausgesetzt ist. Spekulation und Erwartungen über zukünftige Entwicklungen bestimmen zentral die Preise des Stroms. Im Spätsommer des vergangenen Jahres mussten Stromhändler kurzfristig für eine Megawattstunde Strom mit 800 Euro den zehnfachen Preis des Vorjahres zahlen. Der Handel ist aufgrund einer Vielzahl von Produzent*innen von Strom und zahlreicher Großabnehmer extrem komplex aufgebaut. Anstatt einer Vergesellschaftung des Handels braucht es hier kurz- und mittelfristig ordnungsrechtliche Vorgaben, durch die Spekulationen eingeschränkt werden können. Langfristig muss das Ziel sein, das Strommarktdesign und die Preisbildung am Strommarkt so umzubauen, dass das Wohl von Gesellschaft und Klima und nicht die Profite weniger Konzerne im Mittelpunkt stehen.
Die Wärmeversorgung, die aktuell noch zu großen Teilen über fossile Brennstoffe erfolgt, wird zumeist über langfristige Lieferverträge abgewickelt. Unternehmen schließen mit Gas- und Öllieferanten Verträge mit langen Laufzeiten ab, in denen die zu liefernden Mengen weitgehend fest, die Preise aber oft flexibel sind und anhand von Börsenkursen bestimmt werden. Im Zuge der Energiewende muss die Wärmeversorgung der Zukunft jedoch grundlegend anders organisiert werden. Eine Wärmeversorgung, die anstatt mit fossilen Heizungen hauptsächlich auf Wärmepumpen und erneuerbare Fernwärme setzt, verringert die Abhängigkeit von internationalen Handelsbeziehungen sowie kurzfristigen Preisschwankungen an der Börse und kann da ebenfalls einen Einstieg in eine gemeinwohlorientiertere Wärmeversorgung sein.
(3) Der Transport von Gas und Strom ist die dritte Stufe der (Mehr-)Wertschöpfung im Energiesektor und erfolgt über die jeweiligen Netze. Dabei wird sowohl beim Strom als auch beim Gas, mit dem aktuell noch immer ein Großteil der Wärmeversorgung geschieht, in überregionale und regionale Netze unterschieden. Beim Strom sorgen die so genannten Übertragungsnetze für eine überregionale Verteilung. Über die Verteilnetze wird sichergestellt, dass der Strom zu den Verbraucher*innen gelangt. Insgesamt gibt es in Deutschland vier Übertragungsnetzbetreiber und über 850 Verteilnetzbetreiber.
Bei der Gasversorgung wird in Fernleitungs- und Verteilnetze unterschieden. Das Fernleitungsnetz teilen sich 16, die Verteilnetze etwas mehr als 700 Netzbetreiber. Große Teile der Netze sind im Eigentum privater Konzerne, insbesondere die Übertragungsnetze beim Strom und die Fernleitungsnetze beim Gas. Der Betrieb von Netzen ist ein gutes Geschäft, mit dem sich über die Netzentgelte viel Geld verdienen lässt.
Die Netzbetreiber können diese Entgelte jedoch nicht frei bestimmen, da die Bundesnetzagentur so genannte Erlösobergrenzen vorgibt. Der Staat setzt den Rahmen, wie viel Gewinn die Unternehmen mit dem Betrieb von Netzen machen dürfen.
Erst kürzlich stellte die Bundesnetzagentur eine Erhöhung der erlaubten Eigenkapitalverzinsung für Neuanlagen von knapp fünf Prozent pro Jahr auf mehr als sieben Prozent in Aussicht. Was unglaublich klingt, ist auf den liberalisierten Energiemärkten Realität: der Staat gibt privaten Netzbetreibern die Erlaubnis, durch den Betrieb kritischer Infrastruktur Gewinne weit über dem marktüblichen Zinssatz einzufahren. Bezahlt wird dieses Versprechen von den Bürger*innen. Für die Konzerne ist dies überaus attraktiv: der Übertragungsnetzbetreiber Ampiron hat in den Jahren 2013 – 2022 einen Gewinn von ca. 2,6 Milliarden Euro gemacht. 50Hertz wies im Jahr 2020 einen Gewinn von 193 Millionen Euro aus. Oftmals sind die Gewinne der Konzerne nur schwer zu ermitteln, da Netzbetreiber nur als Tochterfirmen fungieren und Gewinne mit dem Mutterkonzern verrechnet werden.
Aber es kann durchaus davon ausgegangen werden, dass mit dem Betrieb von Gas- und Stromnetzen Jahr für Jahr Milliardengewinne gemacht werden. Um es deutlich zu sagen: Der private Betrieb von Strom- und Gasnetzen ist eine dauerhafte, staatlich gewollte Umverteilung von unten nach oben. Doch das ist noch nicht der Gipfel der Ungerechtigkeit: Auf Grundlage von Modellrechnungen können die Gasnetzbetreiber quasi selbst über die Ausbaupläne der Netze bestimmen. Und sie bekommen auch hier eine vom Staat garantierte und von uns allen gezahlte Rendite für den Betrieb der Netze. Sie haben ein entsprechend großes Interesse, die künftigen Bedarfe insbesondere für Gasnetze zu überschätzen, da sie mit mehr Netzen auch mehr Geld erhalten. In den kommenden Jahren planen die Gasnetzbetreiber neue Investitionen in das Gasnetz in Höhe von acht Milliarden Euro. Verbraucher*innen werden diese Summe über die Netzentgelte in den kommenden Jahrzehnten bezahlen – obwohl angesichts der Klimakatastrophe und der notwendigen Abkehr von fossilen Energieträgern völlig unklar ist, ob die geplanten Gasnetze überhaupt benötigt werden.
Wo bei den ersten beiden Wertschöpfungsstufen noch Vorbehalte angebracht waren, ist bei den Netzen völlig klar: Der private Betrieb von Strom- und Gasnetzen bürdet Millionen Menschen zusätzliche Kosten auf, während nur einige wenige Konzerne profitieren. Zudem erfolgt der Ausbau der Netzinfrastruktur beim Gas nicht anhand von Klimazielen, sondern willkürlich nach dem Gutdünken der Konzerne. Dieses klima- und sozialpolitische Desaster ist nicht länger hinnehmbar. Strom und Gasnetze müssen vergesellschaftet werden. Das senkt die Rechnungen der Verbraucher*innen und ermöglicht eine Ausrichtung der Netzplanung anhand der Klimaziele.
(4) Die vierte und letzte hier betrachtete Wertschöpfungsstufe im Energiesektor ist die Versorgung der Kund*innen mit Energie. Auch diese Energieversorgung ist größtenteils privat organisiert und noch immer in den Händen einiger weniger Konzerne. So hatten RWE, E.on, Vattenfall, EnBW und die LEAG im Jahr 2020 einen Marktanteil auf dem Strommarkt von knapp 70%. Der Gasmarkt ist diversifizierter – dennoch weisen die vier größten Konzerne einen Marktanteil von ca. 25% auf. Für die Konzerne ist die Versorgung mit Strom und Wärme ein einträgliches Geschäft – egal ob nun Energiekrise herrscht oder nicht. Der größte Energiekonzern RWE machte allein im ersten Quartal 2023 einen Gewinn von 1,7 Milliarden Euro. Während viele Menschen Angst vor der nächsten Stromabrechnung haben, erweist sich die Krise als rauschendes Fest für die Konzerne. Auch in dieser Stufe der (Mehr-)Wertschöpfung im Energiesektor zeigt sich: die Versorgung mit Energie darf nicht länger in den Händen einiger weniger Konzerne liegen. Auf Kosten von Klima und Menschen verdienen sie Milliarden. Damit muss Schluss sein: die Energieversorgung muss vergesellschaftet. RWE und Co. gehören enteignet!
Die vorangegangene Betrachtung macht klar: nicht an allen Orten in einem liberalisierten Energiesektor ist eine Vergesellschaftung sinnvoll. Während ein vergesellschafteter Betrieb der Netze und die Stromversorgung in öffentlicher Hand in jedem Fall notwendig sind, um unsere Energieversorgung sozial und ökologisch umzugestalten, sind Vergesellschaftungen in der Energiegewinnung sowie beim Handel mit Energie teils nicht möglich oder nicht geeignet, einen gemeinwohlorientierten Umbau voranzutreiben. Jedoch eröffnen sich hierbei durch die Energiewende und die Abkehr von fossilen Energieträgern Möglichkeitsfenster, den Einfluss von Konzernen zurückzudrängen. Es gilt, auch diese zu nutzen.
Marktanteile der Konzerne sinken. Insbesondere bei der Versorgung mit Strom gab es in den letzten Jahrzehnten massive Veränderungen der Marktstrukturen. Hatten die vier großen Stromversorger RWE, E.on, Vattenfall und EnBW im Jahr 2007 noch einen Marktanteil von ca. 90%, betrug er im Jahr 2020 nur noch knapp 70%. Uwe Witt, Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Energiepolitik, äußert sich entsprechend kritisch gegenüber Enteignungen im Energiesektor, da die Energiewende laut seiner Einschätzung bereits dazu beitrage, dass die großen Konzerne ihre Marktmacht einbüßen.
Etwas überspitzt gesagt könnte daraus gefolgert werden, dass die Energiewende bereits eine schleichende Enteignung der großen Player auf dem Energiemarkt ist, da ihr fossiles Geschäftsmodell zurückgedrängt wurde. Wird dieser Gedanke weitergedacht, lässt sich schlussfolgern, dass ein Weiterverfolgen der Energiewende die Marktmacht der Konzerne weiter sinken lassen würde und eine Enteignung von RWE & Co. sukzessive durch die Maßnahmen der Energiewende stattfinden. Eine Vergesellschaftung würde dadurch überflüssig werden, vielmehr sollte passendes Ordnungsrecht die Energiewende besser lenken. Dieser These soll im Folgenden nachgegangen werden.
Werden nur die Marktanteile im Energiemarkt betrachtet, erscheint diese Argumentation schlüssig. Jedoch ignoriert sie grundlegende Mechanismen der kapitalistischen Verwertungslogik. Das Kapital sucht sich stets den Weg des größten Profits. Für die großen Konzerne war über lange Zeit und ist bis heute die Verbrennung fossiler Energieträger das lukrativste Geschäftsmodell. Die Politik erlaubt sich gegenüber der mächtigen Lobby der fossilen Konzerne kaum Maßnahmen, die die Verbrennung fossiler Energieträger einschränken würde. Ganz im Gegenteil: die parlamentarischen Arme der fossilen Industrie verschleppen den notwendigen Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl seit Jahren oder beschließen Ausstiegsszenarien, mit denen die Klimaziele schlichtweg unerreichbar werden. Zudem klettern die Strompreise seit Jahren konstant nach oben. Die Folge: Trotz sinkender Stromnachfrage in Deutschland und sinkendem Marktanteil für die großen Konzerne konnten diese durch die massiv steigenden Strompreise ihre Gewinne aus der Verbrennung fossiler Energieträger stabil halten und teils sogar ausbauen. Solange die Gewinne hoch sind, sind sinkende Marktanteile für die Unternehmen gegenüber den Eigentümer*innen nicht allzu problematisch.
Die sich verschärfende Klimakatastrophe und der zunehmende öffentliche Druck führen nun jedoch zu einer neuen Strategie der Konzerne. Nach außen versuchen sich die fossilen Energieriesen ein neues Image als grün und sauber aufzubauen. Gleichzeitig kämpfen sie vehement darum, dass sie ihr fossiles Geschäftsmodell so lange wie möglich aufrechterhalten können. Es zeichnet sich eine Doppelstrategie der Konzerne ab: sie versuchen krampfhaft, die Verbrennung fossiler Energieträger so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, um noch möglichst lange fossile Profite generieren zu können. Sei es durch den Zubau fossiler Gasinfrastruktur oder Deals, kurzfristig mehr dreckige Braunkohle verbrennen zu dürfen, das Ziel ist stets dasselbe: Gewinne aus fossilen Energien ziehen. Dies geschieht oft über Tochterfirmen, während die Konzernmütter versuchen, sich ein grünes Image zu verpassen. Ein aktuelles Beispiel zeigt, wie erbittert die Konzerne den Kampf um den Weiterbetrieb ihres fossilen Profitmodells führen: in der Debatte um das Gebäudeenergiegesetz geht es nicht – wie häufig von den Jüngern des Marktes behauptet – um Technologieoffenheit, sondern einzig und allein darum, die notwendige Wärmewende zu verschleppen und so lange wie möglich eine große Anzahl an Menschen abhängig von Öl- und Gasheizungen zu halten. Nahezu allen Expert*innen ist klar, dass nie ausreichend Wasserstoff für die so genannten H2-Ready Heizungen vorhanden sein wird und dass die Zukunft der Wärmeversorgung in Wärmepumpen und Wärmenetzen liegt. Trotzdem gelang es dem Kapital im Zusammenspiel mit der politischen Rechten, Scheinlösungen in das Gesetz zu verhandeln, die den fossilen Konzernen weitere Spielräume verschaffen.
Der andere Teil der Doppelstrategie besteht darin, dass die Energiekonzerne beginnen, zunehmend auf die Märkte für erneuerbare Energien zu drängen. Mittlerweile lassen sich auch mit erneuerbaren Energien Milliardenprofite machen. Der Energieriese RWE plant beispielsweise in den kommenden Jahren, 50 Milliarden Euro in den Ausbau erneuerbarer Energien zu stecken, die Firma LEAG will ehemalige Tagebaue mit Solaranlagen zubauen. Die Konzerne haben erkannt, dass ihr fossiles Geschäftsmodell endlich ist und längst begonnen, auf den Markt für erneuerbare Energien zu drängen. Hier werden sie in den kommenden Jahren ebenso unerbittlich um Marktanteile kämpfen. Es zeigt sich: die Zeit der Energieriesen ist nicht vorbei. Vielmehr laufen aktuell weiter Kämpfe darum, wie lange die Konzerne ihr fossiles Geschäftsmodell noch weiter betreiben können. Zudem ist der Kampf um die Zukunft der Energieversorgung in vollem Gange. Die Konzerne sind in den Wettbewerb um erneuerbare Energien eingestiegen und ihr politischer Einfluss wird es ihnen in den kommenden Jahren erleichtern, Marktanteile bei den erneuerbaren Energien zu gewinnen.
Die These, dass die Energiewende den Niedergang der großen Energiekonzerne besiegeln würde, lässt sich also nicht belegen. Vielmehr braucht es angesichts der sich weiter verschärfenden Klimakrise auch aus linker Sicht eine Doppelstrategie: der Kampf gegen die Verbrennung fossiler Energieträger muss entschlossen weitergeführt werden. Es braucht daher jetzt gesellschaftliche Kontrolle über unsere Energieversorgung, damit die Energiewende nicht länger zum Wohle der Konzerne verschleppt, sondern zum Wohle von Mensch und Natur beschleunigt wird. Zudem muss in den Kampf um die Energieversorgung der Zukunft eingestiegen werden. Damit die Zukunft besser werden kann und nicht weiter Großkonzerne Milliarden an unserer Energieversorgung verdienen, braucht es schnellstmöglich eine Vergesellschaftung der Energieversorgung – genauer gesagt der Netze und der Energieversorger.
Dazu gibt es eine Reihe offener Fragen, die in der weiteren Diskussion besprochen werden müssen. Dazu gehört unter anderem die Frage, wie genau die Vergesellschaftung von Netzen und Energieversorgern aussehen kann. Es ist zu klären, was genau mit dem Begriff der Vergesellschaftung – auch in Abgrenzung zur Verstaatlichung – gemeint ist. Zudem muss in der weiteren Debatte nach gesellschaftlichen Allianzen, rechtlichen Rahmenbedingungen und der politischen Durchsetzungsperspektive gefragt werden. Daraus folgend müssen konkrete Kampagnenideen entwickelt werden, damit die Utopie der Vergesellschaftung zu einem mehrheitsfähigen Projekt wird. Die Diskussion zu diesen offenen Punkten steht erst am Beginn. Im Sinne der Menschen und des Klimas ist es jedoch notwendig, sie weiterzuführen.
Maximilian Becker ist Ökonom und engagiert sich seit vielen Jahren in der Klimagerechtigkeitsbewegung. Er war lange Zeit in den Bündnissen Ende Gelände und #unteilbar aktiv. Zudem war er in den Jahren 2021 und 2022 Mitglied im Parteivorstand der Partei DIE LINKE.