Nicht nur Deutsche Wohnen ist sozialisierungsreif
Ein Gastbeitrag von Justus Henze. Justus ist aktiv bei Deutschen Wohnen und Co. enteignen und im Orga-Team der Konferenz „Vergesellschaftung: Strategien für eine demokratische Wirtschaft“.
Am 26. September 2021 waren Freude und Ernüchterung nah beieinander. Nach ernüchternden Ergebnissen der Bundestagwahl und der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus lagen sich schon einige Stunden später jubelnde Aktivist*innen in den Armen, als der deutliche Wahlsieg von Deutsche Wohnen und co. enteignen (DWe) beim Volksentscheid in Berlin verkündet wurde. Dieser Erfolg war ein Lichtblick für die parlamentarische wie außerparlamentarische Linke in herausfordernden Zeiten für progressive Politik.
DWe steckt nach dem Volksentscheid in einer herausfordernden Situation. Die Kampagne muss sich einerseits auf das Terrain der parlamentarischen Politik begeben und die Expert*innenkommission politisch begleiten und gleichzeitig den Antagonismus zwischen den materiellen Interessen der Berliner Mieter*innen und den renditeorientierten Vermieter*innen, der diese Kampagne so erfolgreich gemacht hat, in den Mittelpunkt ihrer politischen Arbeit und Kommunikation stellen. Für die Umsetzung des Volksentscheides arbeitet die Kampagne weiter, die 245.000 Wohnungen von Deutsche Wohnen, Vonovia und co. sind noch nicht in Gemeineigentum. Jedoch lohnt es sich trotzdem zu fragen: RWE, Wintershall oder Asklepios, welche Skandalkonzerne sind noch sozialisierungsreif?
Diese Frage steht Unter anderem im Zentrum der Vergesellschaftungskonferenz, die vom 07.-09.Oktober in Berlin stattfindet. Nur auf den ersten Blick scheint dies überstürzt, denn der Sieg von Deutsche Wohnen und co. enteignen ist nicht nur der Ausdruck einer starken und über Jahre aufgebauten Mieter*innenbewegung in Berlin, sondern zeigt darüber hinaus auch deutlich das politische Potenzial von Kämpfen und sozialen Bewegungen rund um die Eigentumsfrage.
Fünf Aspekte machen dieses politische Potenzial schon jetzt deutlich.
Mit Hamburg enteignet! und RWE und Co. enteignen, machen sich, erstens, bereits weitere lokale Akteure und Kampagnen auf den Weg, die Eigentumsfrage im Wohnsektor nun auch in Hamburg zu stellen, beziehungsweise nun auch die für uns alle so essenzielle Energieversorgung wieder in öffentliche Hand zu nehmen. Kurzum: Der politische Moment einer überregionalen Vergesellschaftungsbewegung, den DWe erkämpft hat, steckt ohnehin bereits in den Anfängen. Die notwendige weitere Vernetzung, langfristige strategische Überlegungen, sowie Organisierungsperspektiven stehen jedoch noch gleichermaßen erst am Anfang – die Vergesellschaftungskonferenz kann ein nächster Schritt in diese Richtung sein.
Zweitens zeigt die sich dramatisch verschärfende Klima- und aktuelle Energiekrise mit dem vierten Hitzesommer in fünf Jahren und einer explodierenden Preis-Profit-Spirale erneut, dass Direktzahlungen oder ein Energiepreisdeckel nicht ausreichen werden, um den Herausforderungen dieser Dekade zu begegnen. Regulierungen kombiniert mit einer Politik der Anreize für Konzerne scheitert klimapolitisch seit 30 Jahren, es ist Zeit für radikalere Ansätze – Ansätze, die an die Wurzel gehen. Oder wie Lasse Thiele in seiner ND-Kolumne dazu so treffend formulierte: „Wenngleich Vergesellschaftung kein Garant für Klimagerechtigkeit ist, bleibt festzuhalten: Ohne sie ist auch klimapolitisch alles nichts.“
Drittens ist Vergesellschaftung im besten Sinne eine nicht-reformistische Reform. DWe hat uns gezeigt, wie erfolgreich eine Politik sein kann, die den Menschen eine konkrete und spürbare Verbesserung anbietet und gleichzeitig mit der Eigentumsfrage ans Eingemachte des kapitalistischen Wirtschaftssystems geht. Davon lohnt sich programmatisch zu lernen. DWe wurde so der erfolgreichste Volksentscheid in der Berliner Geschichte und das nicht trotz, sondern gerade wegen seiner politischen Ambition.
Viertens hat Vergesellschaftung das Potenzial einer verbindenden Klassenpolitik und fünftens einer Überwindung des falschen Widerspruchs zwischen ökologischer und sozialer Politik. An den politischen Erfolgen von DWe lässt sich dies erneut verdeutlichen: Mit der Mehrheit in 10 von 12 Berliner Bezirken, hohen Prozentzahlen unter den Wähler*innen aller bürgerlichen Parteien und Mehrheiten über Generationen und Einkommensklassen hinweg hat DWe gezeigt, dass Vergesellschaftung ein politisches Angebot für all jene macht, die als Mieter*innen kollektiv von den Machenschaften der profitorientierten Wohnungsbaukonzerne betroffen sind. Durch das Aufgreifen breit geteilter Probleme, wie in der Mietenpolitik die punktuell gleichgelagerten materiellen Interessen der Mieter*innen in Kontrast zum Profitinteresse von Vonovia, können neue Mehrheiten geschaffen werden. Was auch immer uns sonst unterscheidet, wir alle sind auf Wohnraum angewiesen, auf Energie, Gesundheitsversorgung und Pflege, auf Mobilität. Und auf einen Planeten, der in 30 Jahren noch lebensfreundlich und lebenswert ist. Der Ausstieg aus den fossilen Energien und aus einer Produktion, die von Profit und Wachstum statt Bedürfnissen getrieben ist, geht nur durch neue Eigentumsverhältnisse. Die große, sozial-ökologische Transformation gelingt uns nur demokratisch und das auch und gerade in Bezug auf die Wirtschaft.
Die Rückkehr der Eigentumsfrage
Für die gesellschaftliche Linke und damit auch für das Gute Leben für alle gibt es mit der Rückkehr der Eigentumsfrage also einiges zu gewinnen. Die Frage ist, wie eine Vergesellschaftungsbewegung konkret aussehen wird. Vergesellschaftung breiter zu denken, heißt auf der einen Seite von Deutsche Wohnen und co. Enteignen zu lernen und auf der anderen Seite, die verschiedenen Ausgangsbedingungen für Vergesellschaftungskampagnen ernst zu nehmen. In jedem spezifischen Kontext muss geschaut werden, wie sich belastbare Bündnisse rund um die Eigentumsfrage schließen lassen. Vergesellschaftungsperspektiven im Krankenhausbereich ohne Involvierung von Beschäftigen, Gewerkschaften und Patient*innen sind schwer vorstellbar. Hier müssen also andere Akteure einbezogen werden als im Wohnbereich.
Um das aktuelle Momentum für eine wachsende Bewegung zu zu nutzen, veranstalten wir vom 07. bis 09. Oktober die Vergesellschaftungskonferenz an der TU Berlin. Die Aktiven bei Deutsche Wohnen und co. enteignen, Hamburg Enteignet! und RWE & Co. enteignen haben uns den politischen Raum geöffnet, jetzt ist es an der Zeit, als gesamte Linke darauf aufzubauen. Um politische Potenziale konkret werden zu lassen, müssen wir dies genau mit den Akteuren progressiver Politik diskutieren, die mögliche Allianzen rund um die Eigentumsfrage mitbegründen können. Eine erfolgreiche Vergesellschaftungsbewegung kann nicht nur von außerparlamentarischen, regionalen Bewegungen getragen werden. Wenn wir ein Potenzial der Eigentumsfrage im Gesundheitssektor, in der Mobilitätsfrage oder für die Transformation zu einer klimagerechten Produktion sehen, wird dies nicht ohne die Unterstützung der Beschäftigten, ambitionierter Gewerkschaften, mutiger linker Parteien, der Involvierung von Betroffenen der kapitalistischen Produktionsweise aus dem Globalen Süden und einer kritischen Wissenschaft gelingen. Wir möchten mit dieser Konferenz den Raum bieten, in diesen Fragen konkret weiterzukommen und erste Verabredungen zu treffen!
Es ist dringend geboten, dass wir als gesellschaftliche Linke aus der Defensive kommen und die Eigentumsfrage kann dabei im Zentrum stehen, unterschiedliche Kämpfe zusammenhalten und als Basis einer Erneuerung der Linken fungieren. Oder wie es DWe viel konkreter für ihr „Faxen Dicke“ – Straßenfest zum einjährigen Jubiläum des Volksentscheids als Untertitel formuliert: „Schnauze voll, Taschen leer, Mieten runter, Enteignung her“. Es scheint ein guter Moment, um ein Jahr nach dem erfolgreichen Volksentscheid gemeinsam mit DWe, RWE und co. enteignen, Hamburg Enteignet und so vielen mehr zu fragen, ob es schon bald ein übergreifendes „Schnauze voll, Taschen leer, Profite runter, Enteignung her!“ gibt.