Deutsche Wohnen & Co enteignen legt Entwurf für das Vergesellschaftungsgesetz vor
Der Artikel erschien ursprünglich auf dem Blog der Rosa Luxemburg Stiftung. Louise Rudolf, Lara Eckstein und Justus von communia haben ihn als Teil der Kampagne Deutsche Wohnen und Co enteignen (DWE) geschrieben.
Vier Jahre nach dem gewonnenen Volksentscheid stellt die Berliner Initiative «Deutsche Wohnen & Co enteignen» die erste Fassung ihres eigenen Vergesellschaftungsgesetzes vor. Was im Gesetz steht und wie es jetzt weitergeht, erklären drei Aktive aus der Initiative.
Vor zwei Jahren haben wir als Kampagne hier an selber Stelle erläutert, warum wir damit beginnen, unser eigenes Vergesellschaftungsgesetz zu schreiben. Nach jahrelanger Verschleppung unseres gewonnen Beschlussvolksentscheids wollten wir nicht länger auf die Landesregierung warten. Wir haben die historische Aufgabe selbst in die Hand genommen: in ein Gesetz zu gießen, wie die Wohnungen großer, profitorientierter Wohnungskonzerne vergesellschaftet und gemeinwirtschaftlich verwaltet werden können.
Nach zwei Jahren intensiver juristischer Arbeit veröffentlichen wir nun den Entwurf des bundesweit ersten Vergesellschaftungsgesetzes. Wir lösen unser Versprechen an die Berliner*innen ein: Wir werden das profitgetriebene Geschäftsmodell von Vonovia, Adler und Co. beenden und Wohnen in Berlin endlich wieder bezahlbar machen.
Zwei Jahre Arbeit am Gesetz – damit Berlin unser Zuhause bleibt
In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Mietenkrise in Berlin noch einmal zugespitzt. Die Neubauzahlen sind eingebrochen, gleichzeitig steigen die Angebotsmieten nirgendwo so stark wie hier – seit 2022 um 42 Prozent auf nun 14,90 Euro pro Quadratmeter. Trotzdem blockiert der Senat weiter den Willen der Bevölkerung – die zu rund 85 Prozent zur Miete wohnt. Am 26. September 2021 hatten mehr als eine Million Berliner*innen für die Vergesellschaftung gestimmt. Doch der schwarz-rote Senat setzt weiter erfolglos auf «Bauen, bauen, bauen» und zündet mit den Diskussionen über ein inhaltsleeres «Rahmengesetz» lediglich Nebelkerzen. Dabei hat die eigens vom Senat eingesetzte «Expert*innenkommission» zentrale Rechtsfragen zur Anwendung von Art 15 GG schon seit Juni 2023 abschließend geklärt.
Während der Senat untätig geblieben ist, haben wir in unzähligen Stunden ehrenamtlicher Arbeit, zusammen mit Fachjurist*innen, einer eigens beauftragten Kanzlei und einem wissenschaftlichen Beirat, ein eigenes Gesetz erarbeitet.
Ein Gesetz, das gilt – verbindlich per Gesetzesvolksentscheid
Mit dem Vergesellschaftungsgesetz hauchen wir dem noch nie angewandten Artikel 15 des Grundgesetzes endlich Leben ein. Das ist ein historischer Schritt, verfassungsrechtlich und für die Mieter*innen Berlins. Mit diesem Gesetz entziehen wir rund 220.000 Wohnungen dem gewinnmaximierenden Geschäftsmodell großer Wohnungskonzerne und überführen sie in Gemeinwirtschaft. Damit sichern wir langfristig bezahlbaren Wohnraum und durchbrechen die Mietpreisspirale.
Dafür müssen die Berliner*innen noch einmal «Ja» sagen zu «Deutsche Wohnen und Co enteignen», dieses Mal in einem Gesetzesvolksentscheid. Bei einer Mehrheit tritt dieses Gesetz – genau so, wie jedes Gesetz, das durchs Abgeordnetenhaus verabschiedet wird – unmittelbar in Kraft. Keine Blockademöglichkeit mehr durch den Senat – wir holen uns die Stadt zurück!
Ausnahmen, Entschädigung, Umsetzung – was steht im Vergesellschaftungsgesetz?
Auf alle Fragen zur erstmaligen Anwendung von Artikel 15 GG haben wir juristisch überzeugende Antworten gefunden. Hier geben wir einen Überblick über die fünf wichtigsten Inhalte unseres Vergesellschaftungsgesetzes:
1. Wohnungen privater Konzerne in Gemeineigentum
Zentrales Ziel unseres Gesetzes ist es, einen relevanten Teil des Berliner Wohnungsbestandes aus privatem Eigentum in Gemeineigentum zu überführen. Diese Wohnungen sollen nicht länger maximalen Profit erwirtschaften, sondern die Berliner Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum versorgen. Unser Gesetz transformiert die Art und Weise, wie Wohnraum in Berlin verwaltet wird, für rund eine viertel Million Haushalte. Vergesellschaftet werden die Bestände großer, profitorientierter Konzerne. Ausdrücklich ausgenommen sind Genossenschaften, kirchliche Träger und die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Für diese Ausnahmen haben wir eine rechtssichere Lösung gefunden.
2. Vergesellschaftung oberhalb der Schwelle von 3.000 Wohnungen
Mit dem Gesetz werden Immobilien von privaten, profitorientiert wirtschaftenden Konzernen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin vergesellschaftet. Damit bleiben wir bei der Schwelle, die auch die Expert*innenkommission verfassungsrechtlich bestätigt hatte. Damit die betroffenen Konzerne nicht schlechter gestellt werden als Wohnungsunternehmen knapp unter dieser Schwelle, haben wir einen sogenannten Selbstbehalt geregelt. Das bedeutet: 3.000 Wohnungen dürfen Vonovia, Adler und die anderen Konzerne behalten – alle anderen werden in Gemeineigentum überführt. Auch für die Bestimmung dieses Selbstbehalts haben wir juristisch klare und für die Verwaltung praktikable Bestimmungen im Gesetz festgeschrieben.
3. Entschädigung unter Verkehrswert
Für das vorliegende Gesetz haben wir ein neues Entschädigungsmodell entwickelt, das nicht nur rechtskonform und praktikabel, sondern auch speziell auf Berlin abgestimmt ist. Grundidee des Modells: Die Konzerne werden nur in dem Umfang entschädigt, der auf ihre Leistung zurückzuführen ist. Das sind die heutigen Baukosten der Gebäude auf den Grundstücken unter Berücksichtigung ihres baulichen Zustands. Der Bodenwert wird nur in einem angemessenen Umfang entschädigt. Nicht entschädigt werden dabei die exzessiven Entwicklungen der Bodenwerte in Berlin ab 2013. Unser «Fair und bezahlbar»-Entschädigungsmodell orientiert sich am Verfahren, das bei der Errechnung von Erbschaftssteuern regelmäßig angewendet wird. Die Entschädigungssumme der einzelnen Immobilien wird damit im Schnitt ca. 40 bis 60 Prozent unter dem Verkehrswert der Immobilien liegen. Die Expertenkommission des Senats hatte bereits bestätigt, dass Entschädigung unter Verkehrswert bei der Anwendung von Artikel 15 möglich ist. Wir zeigen nun den rechtssicheren Weg dafür.
4. Entschädigung ohne Haushaltsbelastung für Berlin
Die Entschädigung kann aus den Mieteinnahmen abbezahlt werden. Das Land Berlin muss dafür keine Schulden aufnehmen. Die Entschädigungssumme wird über 100 Jahre von der Gemeinwirtschaftsträgerin – der Anstalt öffentliche Rechts (AöR) – abbezahlt. Dafür werden verzinste Schuldverschreibungen an die betroffenen Konzerne ausgegeben.
5. Vergesellschaftung konkret: Umsetzungsplan per Gesetz
Das Gesetz schreibt den genauen Weg vor, wie und in welchem Zeitrahmen die zuständige Senatsverwaltung als Durchführungsbehörde die Entschädigungssumme berechnen muss und wann Bewirtschaftung der Wohnungen von der AöR übernommen wird. Auch die Mitwirkungspflicht für die Konzerne und für die beteiligten Beamt*innen in der Berliner Verwaltung ist gesetzlich geregelt. Für die Interimszeit, also für die Monate vom gewonnenen Volksentscheid bis zur Übernahme der Bewirtschaftung durch die AöR, enthält das Gesetz präzise rechtliche Regelungen für die Konzerne und Behörden, in dieser Zeit sind bspw. schon Mieterhöhungen und Kündigungen ausgeschlossen. In einem zweiten Gesetz, das bereits in Arbeit ist, werden wir alle Details zur zukünftigen Verwaltung der Wohnungen in der AöR regeln.
Wir freuen uns auf den Austausch mit den Berliner*innen zu unserem Entwurf. Ähnlich wie bei einem regulären Gesetzgebungsverfahren starten wir nun den Dialog mit Verbänden, Parteien und der Fachöffentlichkeit und sammeln Rückmeldungen zum Gesetzentwurf. Diese konstruktiven Auseinandersetzungen nutzen wir, um dann schon bald in einer finalen Fassung das beste Gesetz für Berlin vorzulegen.
Zeit für einen gelb-lila Aufbruch
Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir dazu beitragen, dass nicht nur die Mietenkrise als Problem, sondern auch die Vergesellschaftung als Lösung wieder ganz oben auf die politische Agenda rückt. Damit bringen wir die Landespolitik unter Zugzwang. Die schwarz-rote Koalition – und ganz besonders die SPD – wird sich, konfrontiert mit unserem Gesetzentwurf, endlich ehrlich machen und ihre verfassungsrechtliche Achterbahnfahrt mit einem sogenannten Rahmengesetz beenden müssen. Grüne und Linke können die Zustimmung für die Umsetzung der Vergesellschaftung erneuern, indem sie sich hinter unser Gesetz stellen.
Der vierte Jahrestag unseres gewonnenen Volksentscheids ist deshalb für uns und für Berlin ein Tag zum Feiern und Sektkorken knallen lassen. Der Gesetzentwurf ist Ausdruck unserer Stärke und Zuversicht, der unermüdlichen Arbeit unserer langjährigen Mitstreiter*innen und insbesondere unseren Jurist*innen, deren Klugheit, politisches Herz und unerschöpfliche Geduld in diesem Gesetz steckt. Wir zeigen, was möglich ist, wenn Mieter*innen sich organisieren und gemeinsam für ein Berlin kämpft, das eine Stadt der Möglichkeiten für alle bleiben soll.
Mit dem Gesetz erneuern wir unsere Einladung an die Stadt: Die Mietenkrise ist kein Naturereignis und Berlin ist unser Zuhause. Wenn wir uns zusammentun, dann kann es das auch bleiben. Wir haben mehr als genügend lila Westen für neue Mitstreiter*innen und jetzt auch noch einen Gesetzesentwurf, für den es sich zu kämpfen lohnt.