Auf der Konferenz „Vergesellschaftet Bayern! Wege in eine solidarische Gesellschaft“ fasste Vincent von communia am 30. November 2024 zusammen, was Vergesellschaftung ausmacht.
Damit Vergesellschaftung als umfassendes Transformationsprogramm verstanden werden kann, das trotz seiner Offenheit nicht zu diffus bleibt und dadurch Gefahr läuft, beliebig benutzt oder gar von Gegner*innen vereinnahmt und umgedeutet zu werden, möchte ich aufbauend auf den Debatten der letzten Jahre drei Pfeiler von Vergesellschaftung benennen. Drei Mindestanforderungen sozusagen, die erfüllt sein müssen, damit wir von Vergesellschaftung sprechen können. Diese Grundpfeiler sollten das sein, was unsere vielfältigen Bewegungen und Projekte zusammenhält und eine Kohärenz verleiht, die sicherstellt, dass unsere Bestrebungen nicht losgelöst voneinander, sondern entlang derselben Leitlinien und Vision über das Bestehende hinaus geht und das Neue aufbaut. Der Grundkonsens, auf den wir uns einigen können, ohne die Vielfalt an Strategien und Organisationsformen einzuschränken.
Diese drei Pfeiler, die die Sozialwissenschaftlerin und DWE-Aktivistin Jenny Stupka bereits im Nachgang der ersten Konferenz formuliert hat und auf die wir uns seitdem beziehen, sind, erstens, die Änderung der Eigentumsverhältnisse von privatem zu kollektivem Eigentum, zweitens, die Demokratisierung des kollektivierten Eigentums und, drittens, die Ausrichtung am Gemeinwohl und gesellschaftlichen Bedürfnissen. Erst wenn alle drei Kriterien erfüllt sind, reden wir von Vergesellschaftung.
Neue Eigentumsverhältnisse
Der erste Pfeiler ist die Änderung der Eigentumsverhältnisse, die Überführung von privatem Eigentum in Formen des Gemeineigentums. Anders ausgedrückt: die Enteignung. Vergesellschaftung ist in allen Bereichen, wo sie eingefordert wird, eine positive Vision von einem Neuaufbau, einer gänzlich anderen Form des Wirtschaftens, die weitgehend unabhängig von Kapital- und Staatsinteressen Gerechtigkeit, Demokratie und Gemeinwohl als Ziel ihres Wirkens stellt. Damit das gelingen kann, braucht es aber einen Moment des Angriffs. Vergesellschaftung ist nicht der Aufbau von Nischenprojekten, die neben kapitalistischen Herrschaftsverhältnissen bestehen sollen. Sondern: Vergesellschaftung bedeutet einen Angriff auf die Eigentumsverhältnisse. Sie setzt eine Übernahme der Ressourcen – ob Grund, Boden, Naturschätze oder Produktionsmittel – voraus, die heute von den Wenigen vereinnahmt und ausgebeutet werden. Wir nehmen uns die Grundlagen unseres gesellschaftlichen Wohlstands zurück und überführen die Entscheidungsmacht an die Vielen!
Demokratisierung
Der zweite Pfeiler ist die Demokratisierung. Das bedeutet die Veränderung der Entscheidungsstrukturen von Marktmechanismen oder staatlicher Autorität hin zu demokratischen Mechanismen. Mit der Enteignung alleine ist es schließlich noch nicht getan, da dies auch eine Überführung in autokratisches Staatseigentum bedeuten könnte, wovon sich Vergesellschaftung explizit abgrenzt. Wir enteignen nicht, um die Kontrolle über unsere wirtschaftlichen Grundlagen an jene Institutionen zu übergeben, die an anderer Stelle die Vorherrschaft der privaten Kapitalinteressen garantieren und Selbstorganisierung immer wieder mit Kontrolle, Überwachung und Gewalt begegnen. Der Staat agiert in seiner gegenwärtigen Form nicht in unserem Interesse, sondern steht im Dienste der Wettbewerbsfähigkeit des „Wirtschaftsstandorts“ Deutschland und wird somit verstaatlichtes Eigentum auch immer wieder privatisieren, sobald eine nächste Krise diesen Schritt rechtfertigt. Da Krisen im Kapitalismus schon abzusehen, sogar vorprogrammiert sind, ist eine reine Verstaatlichung nicht nachhaltig. Mit einer grundlegenden Demokratisierung der Entscheidungsmechanismen und der Eigentumsform selbst müssen wir eine langfristige kollektive Verfügungsgewalt über die vergesellschafteten Ressourcen absichern. Für eine demokratische Wirtschaft der Vielen, die den Vielen dient!
Gemeinwohlausrichtung
Der dritte Pfeiler ist die Gemeinwohl- und Bedürfnisausrichtung. Das heißt, dass die Bewirtschaftsungszwecke von der Profit- und Kapitalmarktorientierung weg und auf bedürfnisorientiertes Wirtschaften hin ausgerichtet werden. Solidarische Kooperation tritt an die Stelle der Konkurrenz, die Verteilung muss den Bedürfnissen und Wünschen der Gesellschaft gerecht werden, statt die Gier von Aktionär*innen und Investmentfonds zu füttern. Das Gemeinwohl ist facettenreich und widersprüchlich. Es zu bestimmen wird immer eine der größten Herausforderungen und spannendsten demokratischen Prozesse darstellen. Sicher ist, dass eine gemeinwohlausgerichtete Wirtschaft die Bereitstellung von bezahlbarem, energetisch saniertem und dauerhaft gesichertem Wohnraum bedeutet, ebenso wie den Schutz und den Zugang zu einer intakten Natur. Sie garantiert eine robuste, gut ausgebaute und für alle zugängliche Gesundheitsversorgung unabhängig von Staatsangehörigkeit oder Größe des Geldbeutels. Sie ist dem Erhalt und der Pflege fruchtbarer Böden und der Sicherung einer gesunden, kostenlosen Trinkwasserversorgung verpflichtet, ebenso wie der Gewährleistung einer exzellent ausgebauten und günstigen, öffentlichen Mobilität auf dem Land wie in der Stadt. Das Ziel einer gemeinwohlorientierten Wirtschaft ist Öffentlicher Luxus!
Die Erfüllung aller drei Kriterien ist notwendig, damit wir von Vergesellschaftung reden können. Die Erfüllung einer oder sogar zwei dieser Kriterien kann ein Zeichen progressiver Maßnahmen für eine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik sein – wie es beispielsweise Rekommunalisierungen oder Genossenschaften sind – es ist aber eben (noch) keine Vergesellschaftung. Lasst uns mit diesem Begriff sorgfältig umgehen, damit er uns verbinden kann, wir ihn verständlich kommunizieren können und er sein radikales Potenzial voll entfalten kann.