Great British Energy: Vorbild für demokratische Stromversorgung?
Dez. 28, 2024

Ein Beitrag von Luise und Max aus communia’s Energieprojekt.

Günstiger und klimaneutraler Strom für alle – das geht nur öffentlich!

Der Ausbau von erneuerbaren Energien, Stromnetzen und Speichern muss viel schneller gehen als er gerade läuft, denn vom Ziel der Klimaneutralität ist Deutschland noch weit entfernt. Gleichzeitig haben die letzten Jahre gezeigt, dass die Sorge um immer höhere Stromrechnungen durchaus berechtigt ist. In Bezug auf die Technologien gibt es keine großen, schwer lösbaren Fragen mehr: Der Großteil klimaneutralen Stroms wird aus Wind- oder Sonnenenergie kommen. Doch warum schreitet die Energiewende dann nicht schneller voran?

Dass es zu langsam voran geht, liegt allem voran an politischen und ökonomischen Ausgangsbedingungen. Anstatt den Ausbau systematisch zu planen, setzt der Staat und die EU auf den Markt und finanzielle Anreize, wie zum Beispiel garantierte Einspeisevergütungen. Damit soll dem privaten Kapital der Einstieg in die Erneuerbaren durch Minimierung von Verlustrisiken versüßt werden. Die Profite der Konzerne zahlen wir also alle – ob über den Staat oder mit der Stromrechnung.

„Great British Energy“ – Konzepte öffentlichen Eigentums in Großbritannien

Wenn wir wissen, was passieren muss und auch die Technologien bekannt sind, warum setzen wir die Energiewende nicht gleich demokratisch geplant um? Diese Frage hat der britische Think Tank Common Wealth sich gestellt und ein umfassendes Konzept für ein großes öffentliches Unternehmen zum Ausbau der Erneuerbaren in UK vorgelegt. Ein ähnliches Konzept konnte sogar im Programm der Labour Partei verankert werden und die – klug benannte – „Great British Energy“ bildet ein wichtiges Schlagwort in der Debatte um den Ausbau der erneuerbaren Energien in Großbritannien.

Common Wealth argumentiert fundiert, wie eine umfassendere, gut finanzierte und demokratische öffentliche Einrichtung die Energiewende umsetzen könnte. Ihre erste Aufgabe wäre, einen sozial-ökologisch gerechten Planungsprozess einzuleiten. Sie könnte nicht nur Risiken, sondern auch Gewinne der erneuerbaren Energien tragen. Und sie könnte dafür sorgen, dass Energiearmut bekämpft wird und Haushalten ein gedeckeltes Grundkontingent an Energie und Wärme garantiert zukommt.

Schon jetzt fließt extrem viel öffentliches Geld im Vereinigten Königreich in die Förderung der erneuerbaren Energien. Das hat den folgenden Grund: Private Geldgeber investieren nur dann, wenn sie Profite erwarten. Da erneuerbare Energien zu Beginn hohe Investitionskosten darstellen, stellt sich die Rendite (also der Gewinn) erst über den jahrelangen Betrieb und den Verkauf am Strommarkt ein. Die Strompreise schwanken jedoch stark (insbesondere je mehr investiert wird) und es besteht eine massive Unsicherheit darüber, welche Investitionen sich langfristig lohnen. Der Staat versucht daher, durch finanzielle Anreize stabile Strompreise und Renditen zu garantieren. So werden nach altbekanntem Muster Risiken auf die Gesellschaft abgewälzt und Gewinne privatisiert.

Common Wealth schlägt daher vor, einen öffentlichen und demokratischen Energieversorger zu gründen, der den Auftrag hat, so kostengünstig wie möglich den gesamten Ausbau der Erneuerbaren in die Hand zu nehmen. Es geht also nicht nur um ein zusätzliches staatliches Unternehmen, sondern darum, den gesamten notwendigen Ausbau öffentlich zu gestalten.

Für eine durch einen öffentlichen Energieversorger getragene Energiewende sprechen mehrere weitere Punkte:

  1. Der Staat kann den Ausbau günstig finanzieren: Das Risiko von Strompreisschwankungen lassen sich private Kapitalgelber durch heftige Zuschläge auf ihre Eigenkapitalrenditen bezahlen. Unternehmen, die sich Mittel für den Ausbau von Erneuerbaren leihen, müssen entsprechend mit hohen Zinssätzen rechnen. Ein öffentliches Energieunternehmen mit einem nachvollziehbaren Plan und staatlicher Rückendeckung könnte hingegen zu günstigen Konditionen die Finanzierung des Ausbaus realisieren.
  2. Öffentliche Kontrolle ermöglicht integrierte Planung: Private Unternehmen planen fragmentiert und errechnen für einzelne Projekte die erwarteten Gewinne. Der Energiesektor ist jedoch ein komplexes System, das sich nicht sinnvoll aus Einzelperspektive planen lässt. Wind und Solarenergie müssen koordiniert werden, um Flauten gegenseitig auszugleichen. Das erfordert zusätzlich einen geplanten Netzausbau sowie Speicher und Reservekapazitäten für die wenigen Tage im Jahr, wo weder Wind noch Sonne da ist. Ebenso muss im Sinne der Klimaneutralität der Rückbau fossiler Energien mit dem Ausbau der Erneuerbaren koordiniert werden. All das lässt sich nicht gut in einer isolierten und fragmentierten Projektlogik betrachten. Sinnvoller, günstiger und effizienter wäre daher eine integrierte Planung.
  3. Preise lassen sich demokratisch und stabil gestalten: Ein öffentliches Energieunternehmen könnte Strom direkt an Haushalte liefern und bis zu einer bestimmten Menge kostenlos oder kostengünstig als Grundrecht bereitstellen. Anstatt von hunderten von Energieunternehmen mit schwankenden Preisen, wäre eine langfristige und günstige Versorgung mit klimaneutralem Strom garantiert. Darüber hinaus könnte starken Verbrauchern durch hohe Preise Anreize zur Umstellung geliefert werden. Insbesondere für die Industrie könnten dadurch klare und verlässliche, aber mit Klimaneutralität kompatible Transformationspfade um- und durchgesetzt werden.

Prinzipiell spricht wenig dagegen, das Konzept von Common Wealth auch in Deutschland umzusetzen. Allerdings stellen sich eine Vielzahl komplizierter rechtlicher Fragen, wie zum Beispiel bezüglich der Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen, der Kompatibilität mit EU-Recht oder der Schuldenbremse. Nichtsdestotrotz ist auch in Deutschland eine bundesweite öffentliche Institution denkbar, die Investitionen in die Energiewende regional vorantreibt. Mit der Bürgerenergie und genossenschaftlichen Ansätzen besteht ein reicher Erfahrungsschatz lokaler demokratischer Planung und Beteiligung, der mit einer umfangreicheren öffentlichen Planung sinnvoll zusammengedacht werden könnte.

Herausforderungen: Demokratische Mitbestimmung und (Ressourcen-)Gerechtigkeit statt Standortdenken

Klar ist, dass zu einer Vergesellschaftung des Energiesektors nicht nur die Eigentumsfrage und die Orientierung am Gemeinwohl (also Klimazielen und Versorgungsgerechtigkeit) gehören, sondern auch eine öffentliche und demokratische Kontrolle und Mitbestimmung. In dem Ansatz von Common Wealth entscheiden neben Techniker*innen auch politische Vertreter*innen, Arbeitende und zivilgesellschaftliche Akteur*innen über die großen Leitlinien. Gleichzeitig ist der Aspekt der Demokratisierung im Konzept noch nicht vollkommen ausbuchstabiert. Es ist klar, dass nicht alle alles mitentscheiden müssen. Gleichzeitig ist es von großer Wichtigkeit, dass demokratische Bestimmung nicht nur über (politische) Repräsentant*innen erfolgt oder zum Privileg jener wird, die genug Zeit haben, sich umfassend in technische Fragen einzuarbeiten. Während die großen Leitlinien eines öffentlichen Energieversorgers sinnvollerweise auf staatlicher Ebene demokratisch bestimmt werden, stellen sich auch viele Fragen, die lokal bearbeitet werden sollten.

Das Konzept nutzt zum Teil zudem eine eher nationalistische Perspektive der Standortkonkurrenz. Die Autor*innen argumentieren sehr stark mit Makrostabilität auf dem britischen Markt, der sich durch die Stabilisierung des Strompreises ergeben würde: Wenn der Strompreis durch ein großes öffentliches Unternehmen gleichbleibend gestaltet wird, würde das für Unternehmen Planungssicherheit bedeuten. Das macht strategisch zwar Sinn, geht aber nicht über einen nationalen Protektionismus hinaus. Ein öffentlicher Energieversorger könnte ja gerade durch gezielte Preissetzungen auch auf die Industrie einwirken und nicht nur günstigen Strom anbieten, sondern eben auch industriellen Umbau vorantreiben.

Entsprechend ist auch der Aspekt der globalen Gerechtigkeit fast nicht vorhanden. Globale Gerechtigkeit bedeutet mehr als nur einen Umbau zur Klimaneutralität. Woher kommen die Rohstoffe für den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien? Wie gestaltet das öffentliche Unternehmen seine Handelswege? Wie können globale Perspektiven und historische Schuld in einer öffentlichen Institution sinnvoll integriert werden? Ein öffentliches und demokratisches Energieunternehmen wäre prädestiniert, genau diese Fragen mitzudenken und Ressourcengerechtigkeit, fairen Handel, Reparationen sowie Technologie- und Wissenstransfer in die Mehrheitswelt zu organisieren.

Der Frage, wie eine konkrete Umsetzung einer demokratischen Energiewende aussehen könnte, widmet sich communia in den nächsten Monaten intensiv im Projekt „Potenziale öffentlichen Eigentums“. Wie kann eine effiziente, demokratische und global gerechte Energiewende durch öffentliche Akteure umgesetzt werden? Welche juristischen Hürden und Potentiale gibt es dafür? Wie lässt sich demokratische Mitbestimmung auf allen Ebenen des Energiesektors umsetzen? Und wie lassen sich Fragen nach Rohstoffgerechtigkeit und Klimaschulden dabei integrieren? Um die Fragen zu klären, beschäftigen wir uns die nächsten Monate mit ökonomischen Zusammenhängen auf dem Strommarkt, schauen uns (historische) Beispiele und Vorschläge an, und wenden die Überlegungen aus anderen Sektoren wie Wasser und Wohnen auf die Energieversorgung an.

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