Buch: Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage
Jun 26, 2024

Anfang Juni erschien bei Oekom das Buch „Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage“. Der von Tino Pfaff herausgegebene Sammelband fragt danach, wie wir unsere Gesellschaft gerechter, zukunftsfähiger und resi­li­enter machen können. „Die Frage nach sozialer Gerechtigkeit bleibt aktuell – auch und gerade in »modernen« europäischen Gesellschaften. Der Kapitalismus erzeugt neben Wohlstand für wenige, viel Armut und Leid für viele. Diese Ungerechtigkeit ist eng verbunden mit der Zerstörung ökologischer Lebensgrundlagen. Wie lassen sich diese Missstände auflösen? Die Vergesellschaftung von lebenswichtigen Bereichen und profitgesteuerten Großkonzernen könnte dafür ein entscheidender Hebel sein.“

Das Buch könnt ihr kostenfrei herunterladen oder noch besser im Buchhandel oder hier bestellen.

Für communia haben Lemon, Max und Justus einen Beitrag zur strategischen Perspektive beigetragen. Einen Auszug veröffentlichen wir hier.

Eine strategische Perspektive entwickeln: Vergesellschaftung als Horizont für eine Linke in der Krise

Der Kampf um Lützerath, der als Höhepunkt einer Phase von Konflikten rund um die Frage der Kohleverstromung in Deutschland gedeutet werden kann, hat eines nochmal deutlich gemacht: Die derzeitigen Eigentums- und Machtverhältnisse stehen im eklatanten Widerspruch zu Klimagerechtigkeit und der 1,5°-Grenze. Der naheliegende Schluss liegt diesem Sammelband zugrunde: Wenn die Eigentumsverhältnisse die Lösung der sozial-ökologischen Krise verhindern, gilt es die Eigentumsverhältnisse zu verändern. Die Lösungen sind in groben politischen Linien mehr oder weniger klar: Eine ernsthafte Klimapolitik würde jetzt die erneuerbaren und fossilen Produktionskapazitäten der großen Energiekonzerne enteignen und mit dem Ziel der Abschaltung der fossilen Energiegewinnung in Gemeinwirtschaft überführen, Arbeitskräfte und Ressourcen aus fossilen Industrien in gute tarifgebundene Arbeitsplätze für die Energiewende überführen, die Übertragungsnetzbetreiber in öffentliche Hand bringen und den Netzausbau bedürfnisgerecht vorantreiben, lokales und genossenschaftliches Eigentum an Erneuerbaren Energien weiter fördern und Kapazitäten für Großanlagen wie On- und Offshore-Windparks sowie Produktionskapazitäten für Zukunftstechnologien aufbauen. Der Fluchtpunkt einer solchen Perspektive wäre ein Energiesektor, der eine bedingungslose und bedarfsgerechte Versorgung mit Energie für alle sicherstellt und dadurch ein Mehr an Freiheit und Sicherheit für die überwiegende Mehrheit der Menschen schafft.i Linke Politik muss also ein solches Programm ausbuchstabieren und um Mehrheiten dafür kämpfen. Wir teilen diese grundlegende Perspektive, wollen sie in diesem Artikel jedoch im Rahmen einer Einordnung in die aktuellen Machtverhältnisse und Kontextbedingungen kritisch reflektieren. Nach der Räumung von Lützerath überschlugen sich im Sommer 2023 die Nachrichten über immer stärkere Überschwemmungen und Waldbrände – die Folgen der eskalierenden Klimaerhitzung. Der Klimakollaps ist da, das 1,5°-Ziel mit großer Wahrscheinlichkeitii etwas für die Geschichtsbücher und der linke Kampf um eine sozial gerechte und schnelle ökologische Transformation ist gescheitert. Eine soziale Gestaltung der Transformation durch Vergesellschaftung und insbesondere das Einhalten des 1,5°-Ziels ist zwar prinzipiell möglich aber aufgrund der realen Machtverhältnisse absehbar unrealistisch. Das bedeutet für unsere Kämpfe eine zentrale Kontextverschiebung, die wir anerkennen und deren Auswirkungen wir noch begreifen müssen. Und wir müssen eine zweite Realität anerkennen: Das Scheitern einer linken Form von sozial-ökologischer Transformation liegt nicht zuletzt daran, dass die teilweise hoffnungsvollen Aufbrüche progressiver Politik und Bewegungen in den letzten Jahren größtenteils gescheitert oder ohne nachhaltige Stabilisierung geblieben sind und sich eine neue Machtkonstellation gefestigt hat, in der der Linken eine bloße Außenseiterrolle zukommt.iii Die Rede davon, Mehrheiten für progressive Politiken wie Vergesellschaftung zu erkämpfen scheint davon ausgehend derzeit eher unrealistisch. Demgegenüber muss es uns jetzt darum gehen, die realen Bedingungen für zukünftige Kämpfe zu analysieren und anzuerkennen. Ausgehend von diesen veränderten Kontextbedingungen gilt es die Frage nach den Potentialen und der Rolle von Vergesellschaftung für linke Politik konkreter zu stellen und neu zu beantworten.

In diesem Artikel geht es uns deshalb darum, die genannten Kontextveränderungen, insbesondere die aktuellen Machtverhältnisse, sowie die Position linker Kräfte darin zu klären. Davon ausgehend wollen wir nach den Möglichkeiten für linke Politik aus dieser Position heraus und in die sozial-ökologische Krise hinein fragen. Unsere These ist, dass es in Anerkennung der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse um den langsamen, aber grundlegenden Neuaufbau eines linken Hegemonieprojekts gehen muss, das sich über die Etablierung lokaler, radikalisierter Projekte mittelfristig zu einer gegenhegemonialen Kraft entwickeln kann. Im Kern dieses Projekts muss die Formulierung von Verteilungsfragen als Eigentumsfragen stehen. Diese These mag widersprüchlich erscheinen, steht Vergesellschaftung unserer Analyse nach unter den gegebenen Machtverhältnissen ja gerade nicht auf der realpolitischen Tagesordnung (außer im Wohnungsbereich in Berlin). Doch gerade aus der Position der Schwäche heraus scheinen uns die Möglichkeiten zur Etablierung eines radikalisierten – und gerade dadurch breiter zustimmungsfähigen – linken Projektes besser, als im Rahmen einer Partizipation an den Strukturen der gegenwärtigen Machtkonstellationen. Gerade jetzt ist also eine Rückbesinnung auf die lange aus den Augen verlorenen Sozialisierungsfrageiv als vergessene Kernforderung der Arbeiter*innenbewegung möglich und mittelfristig erfolgversprechend, da sie für die meisten Menschen eine echte Lösungsperspektive für die kommenden Krisen und Verteilungskonflikte darstellen kann.

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