Vergesellschaftung und Klimabewegung – Teil 2
Jun 28, 2023

Dieser Gastbeitrag von Lasse Thiele, Simon Toewe und Selana Tzschiesche ist in einer kürzeren Version in unserer Broschüre Neue Energie für Vergesellschaftung – Vergesellschaftung für neue Energie erschienen. Es handelt sich dabeum ein Gespräch zwischen drei Klima(gerechtigkeits)aktivist*innen. Sie stellen sich die Frage nach dem aktuellen Stand der Klimabewegung: Welches Ziel verfolgt die Bewegung mit ihren unterschiedlichen Aktionsformen, als was identifiziert sie damit ihr Gegenüber und was erreicht sie damit aktuell? Welche Rolle spielt dabei die Eigentumsfrage für die Klimabewegung? In dem Gespräch werden die Chancen und Herausforderungen herauskristallisiert, die der Diskurs um Vergesellschaftung in der Energiekrise für die Klimabewegung bietet. Der erste Teil des Beitrags erschien hier.

Selana: Wir sollten auch die aktuelle politische Situation einbeziehen. Wie hat sich die Energiepreiskrise nach der russischen Invasion in der Ukraine auf die Vergesellschaftungsdiskussion in der Bewegung ausgewirkt?

Simon: Paradoxerweise gibt es aktuell in der Energiepreiskrise massive gesellschaftliche Mehrheiten für den Ausbau erneuerbarer Energien und gleichzeitig passiert mit dem Zubau von LNG, also Frackinggas-Infrastruktur, genau das Gegenteil.  Und darauf ist Vergesellschaftung erstmal eine gute Antwort, denn: In einem demokratisierten Sektor, wo wir tatsächlich als Konsument*innen darüber entscheiden könnten, wo was wie gebaut wird, sähe das anders aus. Die Formel müsste also lauten: Vergesellschaftung und rapider Ausbau erneuerbarer Energien. 

Lasse: Die Alternative zu LNG – und der andere Teil der technischen Antwort – wäre ja ein Riesenprogramm für die Wärmewende in den nächsten 3 bis 5 Jahren. Da geht es um Gebäudesanierung, Heizungsaustausch usw. – leider für die Klimagerechtigkeitsbewegung bisher das unsexyste Thema überhaupt. Wir haben dazu ja schon lange gute Positionspapiere, aber das ist ein total verkopfter Zugang. Wir sind da kaum mobilisierungsfähig. Dabei geht es ja auch um die hochpolitische Frage der Kostenverteilung.

Simon: Eigentlich ist es aber das brisanteste Thema überhaupt, denn die Konflikte rund um Verdrängung und Mietsteigerungen der Zukunft werden vor allem Konflikte rund um die Sanierung von Gebäuden sein. Unsexy ist das Thema überhaupt nicht mehr, wenn man es aus einer Recht-auf-Stadt-Perspektive betrachtet und nicht aus einer engen Klimabewegungsperspektive.

Selana: Beim Energietisch waren Zwangsräumung Verhindern und Kotti & Co. auch die (ersten) Akteure, die sich mit uns zu Energiearmut vernetzen wollten. Es wurde aber leider politisch auch viel dafür getan, soziale und ökologische Anliegen gegeneinander auszuspielen: Energetische Sanierung zu 100% auf die Miete umlegen zu lassen, Investitionskosten für den Ausbau Erneuerbarer Energie über die EEG-Umlage auf die Endverbraucher umlegen – und zwar einkommensunabhängig. Dabei hätten die Sanierungskosten nur als Instandhaltung statt als Modernisierung definiert werden müssen, um die Umlage auf die Miete zu verhindern. Und hohe Energiekosten treffen ja gerade ärmere Haushalte in schlecht gedämmten Gebäuden. Es wirkte lange so, als seien Erneuerbare – genau wie Bio-Lebensmittel – viel teurer, weil hier alle Kosten über den Markt liefen, während die Fossilen sowohl in ihren Anfängen als auch in den sozial-ökologischen Folgen krass staatlich subventioniert wurden. Aber durch die aktuelle Preisentwicklung verändert sich gerade unglaublich viel. Das ist eine riesen Chance, um die Klimagerechtigkeitsbewegung zu verbreitern.

Lasse: Jetzt wurde das Thema ja zum ersten Mal in der Schweiz und im UK aktionistisch aufgegriffen, das ist ganz interessant – aber eben auch mit Sitzblockaden auf der Straße ohne direkt erkennbare Verbindung zu den Gebäuden, um die es geht. Also, mit unserem klassischen Repertoire an Aktionsformen sind wir in dem Bereich bisher noch nicht weit gekommen.

Simon: Weil wir erst jetzt durch die Arbeit von DWE anfangen zu verstehen: Politische Erfolge können wir durch Community Organizing erkämpfen, durch eine Haltung und Strategie, die wir gerade erst wieder im Begriff sind, zu lernen. Das Problem begegnet Menschen direkt in ihrem Alltag, und dort muss die Organisierung ansetzen. Für Klima-Aktivist*innen ist neu daran, dass wir Menschen auf einer anderen Ebene und als andere Subjekte ansprechen, als wir das bisher in unserer Praxis meistens gemacht haben. Wir haben bisher in erster Linie Menschen als Aktivist*innen oder als Gegner*innen angesprochen oder auf einer moralischen Ebene.

Selana: Als Empörte.

Simon: Genau. Bist du für oder gegen Kohle? Which side are you on? Und das ist hilfreich, um in einem Diskurs einen Antagonismus zu erzeugen, der die Grenzen des Sagbaren verschiebt, der auch Spielraum eröffnet, der polarisiert. Und das war auch notwendig für das Agenda-Setting. Wenn wir aber über Community Organizing mit dem Ziel Vergesellschaftung sprechen, dann sprechen wir Menschen an, die ihre eigenen Bedürfnisse nach Wohnraum, Wärme, Arbeit oder Mobilität befriedigen wollen – und das auch können, wenn sie sich dafür gemeinsam organisieren und Macht aufbauen. Wir müssen es schaffen, Menschen anzusprechen, die niemals Aktivist*innen werden und auch nicht werden müssen. Denn jede Wohnung, die saniert ist, ohne dass die Miete steigt, ist ein Gewinn fürs Klima. Und jede Mieter*in, die sich dafür eingesetzt hat, hat einen Gewinn fürs Klima eingefahren, muss aber keine Klimaaktivist*in werden.

Selana: Vor zehn Jahren haben wir schon mal versucht, das Thema auf Nachbarschaftsversammlungen aufzugreifen. Damals war energetische Sanierung dort das Feindbild. Und es gibt ja auch Gründe dafür, dass vielleicht auch die Klimagerechtigkeitsbewegung bisher von den sozialen Fragen rund um das Thema Energiewende eher zurückgeschreckt ist. Und warum es damals so schwierig war, da einen Fuß reinzukriegen. Wir hatten damals den Eindruck, Klima- und Umweltbewegung interessieren sich höchstens nachrangig für die sozialen Fragen. Und sozialpolitische Akteurinnen interessieren sich eigentlich nicht für Klimafragen. Und ich glaube, das verändert sich gerade durch die Krise, durch die aktuelle Preisentwicklung. Und strukturell hilft natürlich, dass die Erneuerbaren mittlerweile so viel günstiger geworden sind und gleichzeitig die fossilen Heizkosten so steigen, dass Sanierungsmaßnahmen eigentlich attraktiver werden.

Lasse: Ich glaube, das alles betrifft letztlich auch die ganze Vergesellschaftungs- und Klimafrage: dass man da eben andere Bündnisse bauen müsste, andere Taktiken bräuchte, für die es auch viel Geduld und und langen Atem braucht.  Um Menschen zu aktivieren, erscheinen mir die Startbedingungen im Energiesektor immer noch etwas schwieriger: Während die eigene Wohnung affektiv sehr stark besetzt ist, erscheint Strom aus der Steckdose austauschbar. Die Idee einer dezentralen Energiewende spricht bisher eher ein bürgerliches Spektrum an und reicht nicht weit genug nach links und ökonomisch nach unten  um damit Vergesellschaftungs-Mehrheiten zu bauen. Aber in der Verbindung der Themen über die Wärmefrage könnte ein Ansatz liegen.

Energiedemokratie und die globale Perspektive

Lasse: Uns fehlt noch ein wichtiger Themenblock. Mit Vergesellschaftung hängt ja die Idee einer sehr starken Wirtschaftsdemokratie zusammen. Und ich glaube, auch da haben wir gerade eine ziemliche Baustelle. Ein Bedürfnis nach aktiver Selbstverwaltung, und das auch noch über den betrieblichen Kontext hinaus, liegt im Großteil dieser Gesellschaft nicht unbedingt obenauf. Also: Mehr sein zu dürfen als Konsument*innen. Das spielt auch in den aktuellen Preisdebatten kaum eine Rolle. Wie kann also eine Vergesellschaftung tatsächlich denkbar werden, die mehr als nur eine Verstaatlichung mit irgendeinem Alibi-Beirat wäre?

Selana: Das macht neben der Frage, wer die Akteure sind, die die Vergesellschaftung des Energiesektors erkämpfen, die Frage auf: Wer sind die Akteure, die in Zukunft diesen Sektor verwalten sollen? Ich glaube, hier liegt auch ein Unterschied zur Mieter*innenbewegung, wo die Idee von Kiezräten nahe liegt und wegen der hohen Identifikation mit dem Wohnraum funktionieren könnte. Bei der Energieversorgung bezweifle ich, dass es eine lebhafte Beteiligung  in der Selbstverwaltung des Stromnetzes gäbe. Aber vielleicht ist das auch gar nicht nötig. Gemeinwohlorientiert muss nicht in jedem Schritt demokratisch kontrolliert heißen, an einigen Stellen kann da auch mal das Recht verwaltet zu werden zum Tragen kommen. Trotzdem braucht es natürlich wirkmächtige Beiräte.

Lasse: Noch schwieriger wird es ja aus globaler Gerechtigkeitsperspektive. Unter aktuellen Vorzeichen wäre kaum vorstellbar, dass diese Wirtschaftsdemokratie dann eine wäre, in der nicht nur die vor Ort Beteiligten ihre Interessen untereinander aushandeln, sondern das auch noch mit einer global solidarischen Haltung geschieht. Das betrifft nicht nur Nullemissionen, sondern auch Rohstoffpolitik und unausgeglichene Handelsbilanzen, und ist auch in “Just Transition”-Debatten kaum mehr als eine Randnotiz. Von so einer Haltung sind wir natürlich gesellschaftlich weit entfernt, und das macht es auch schwerer aus Klimagerechtigkeitsperspektive den Aktiven, die dafür ja stark sensibilisiert sind, zu sagen: Geht mal alle da raus und macht Organizing.

Selana: Ja, und aus der Perspektive ist an der Frontstellung sozial gegen ökologisch leider doch  was dran. Die aktuellen Preisdeckel für Energie sind hier zwar absolut notwendig, es ist aber auch eine staatliche Subvention fossiler Brennstoffe, die anderswo krasse soziale Problemlagen mit sich bringen. Ähnlich für Lebensmittel: Eigentlich müsste man in Deutschland viel mehr Geld für Lebensmittel aus nicht konventioneller Landwirtschaft ausgeben, aber das zu fordern missachtet die Lebensrealität der Menschen im hiesigen Niedriglohnsektor.

Simon: Das ist ein Dilemma, weil wir als Klimagerechtigkeitsbewegung auf keinen Fall davon abweichen sollten, die soziale Frage immer global zu stellen. Und die Realität ist, dass sowohl die möglichen Hebel, die es gibt, für politische Veränderungen, als auch das Diskursfeld, in dem wir uns bewegen, sehr national geprägt ist. Da stellt sich auf der einen Seite immer die Geduldsfrage, aber auf der anderen Seite erreichen wir auch nichts, wenn wir uns außerhalb dieser Diskursfelder bewegen. Die Frage ist ja auch nicht neu, sondern seit den Solidaritätsbewegungen der 1960er und 1970er immer dagewesen.

Selana: Wow, ja, was für dicke Bretter, aber auch was für tolle Anfänge! Ich finde ja gerade angesichts dieser Herausforderungen ist Vergesellschaftung nicht nur ein nice-to-have, sondern absolut notwendige Bedingung um einerseits Energieversorgung, Agrarwirtschaft und Mobilität radikal umzubauen und das andererseits so zu tun, dass keine krassen sozialen Kosten verursacht werden und man die Leute mitnimmt. Und wir sind an einem anderen Punkt als vor zehn Jahren. DWE hat die Ausgangsbedingungen für kommende Kämpfe um Vergesellschaftung radikal verschoben. Und es hat uns nochmal vorgeführt, dass Vergesellschaftung als Richtungsforderung nicht nur eine Perspektive, sondern auch die Energie zu ihrer Durchsetzung liefert: Unabhängig von jeder Revolution damit anzufangen, die Gesellschaft umzubauen. Step by step.

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