Gastbeitrag: Vergesellschaftung ist feministisch: Die Sorge(n) vergesellschaften – aber wie? Teil 1
Mrz. 30, 2023

Gastbeitrag von Nadine Gerner. Warum Sorgearbeit vergesellschaftet werden muss und wie Vergesellschaftung als eine feministische Transformationsstrategie aussehen kann, dazu schreibt Nadine Gerner im Anschluss an die Vergesellschaftungskonferenz in Berlin und die „Sorgende Stadt“ Konferenz in Bremen.

Zum zweiten Teil des Textes gehts hier.


Sie sind die Airbags der Krisen, die Lückenfüller*innen, wenn der Staat die Kita Plätze reduziert, die Hände Haltenden, wenn niemand anders da ist. Insbesondere Frauen und queere Menschen tragen oftmals nicht nur die Sorgen in Form von mental loads, sondern tragen auch zum Fortbestand der Gesellschaft bei, indem sie überproportional in Sorgeberufen sowie mit einer zweiten Schicht im privaten Haushalt tätig sind. Ziel eines feministischen Projektes kann es nicht sein, Sorgearbeit weiter zu privatisieren, auszulagern und in die Hände von meist migrantisierten und rassifizierten Personen zu (ver)schieben. Es gilt Sorgearbeit nicht weiter Profit- und Effizienzwängen zu unterwerfen, indem sie zum Beispiel weiter professionalisiert oder kommodifiziert (also über den Markt vermittelt) wird wie es insbesondere im Falle des privaten Pflegesektors eindeutig sichtbar ist. Kämpfe in der professionellen Care-Arbeit – wie der Pflege – erzielten in den letzten Jahren und Monaten einige Erfolge – etwa mit den Entlastungsstreiks der Krankenhausbewegung. Doch zur Care-Ökonomie gehört ebenfalls die unentlohnte, weiblich konnotierte Sorgearbeit im privaten Bereich etwa die Hausarbeit oder Kindererziehung. Diese ist nicht nur weiterhin oft unsichtbar, sondern derzeit auch äußerst wenig Gegenstand von feministischen Kämpfen. Anstatt weiter in Abwehr- und Teilkämpfen zu verharren, könnte Vergesellschaftung und die Perspektive „Sorgender Städte“, gar Sorgender Gesellschaften eine richtungsweisende nicht reformistische, feministische Strategie darstellen.

Vergesellschaftung vom Spülbecken aus gedacht

Care Arbeit grundlegend umzugestalten, (um)zuverteilen und zu demokratisieren ist keine einfache Forderung, das liegt vor allem an den Eigenschaften von Care Arbeit. Sie lässt sich schlecht wegrationalisieren, reduzieren und nur begrenzt automatisieren. Sorgearbeit ist „hands on“, sie ist personenbezogen, ortsgebunden und muss gemacht werden: Irgendwann müssen die Windeln getauscht werden, ob beim Kleinkind oder den Großeltern. Aus diesen für die Sorgearbeit charakteristischen Eigenschaften ergeben sich auch ganz spezifische Herausforderungen für die politische Organisierung: es stellen sich Fragen nach dem politischen (Kollektiv)Subjekt und der Ausgestaltung von Vergesellschaftung in der Care Ökonomie. Das liegt beispielsweise daran, dass Care Arbeit oftmals vereinzelt und fragmentiert im privaten Raum stattfindet, anstatt in Betrieben, in denen es leichter ist, sich zu organisieren als am Küchentisch während der 24-Stunden-Pflege oder zwischen Wickel- und Bürotisch.

Die Vergesellschaftung von sozialer Reproduktion (den zur Erhaltung des unmittelbaren Lebens notwendigen Tätigkeiten) ist bei weitem keine neue feministische Forderung. Sie findet sich wieder in revolutionären Vorarbeiten von sozialistischen Feminist*innen wie z.B. Alexandra Kollontai. Von Kantinen, über Kindergärten bis hin zu öffentlichen Bädern und Waschsalons ist historisch auf ein breites Repertoire an Vorschlägen zurückzugreifen. Erinnert sei auch an die Forderungen des internationalen Feministischen Kollektivs bei dem sich verschiedene politische Gruppen weltweit um einen Lohn für Hausarbeit vernetzten (1972-1978).

Seit einigen Jahren schielt der feministische Blick auch zunehmend auf die Erfahrungen munizipalistischer Bewegungen in Spanien oder auf integrale Care Systeme in Argentinien oder Chile. Genoss*innen aus den Kämpfen waren auch auf der Konferenz in Bremen vertreten, um die Potentiale und Herausforderungen von Vergesellschaftung als Strategie für feministische Bewegungen in Deutschland gemeinsam auszubuchstabieren.

Vor dem Hintergrund bereits begonnener Kämpfe um Eigentum in anderen Sektoren wie etwa dem Wohnsektor, könnten folgende Fragen weitergesponnen werden: Was können wir von DWE und der Enteignungsforderung im Wohnsektor für andere Sektoren lernen etwa für die Care Ökonomie? Wie sieht Vergesellschaftung in der Care Ökonomie aus? Oder mit anderen Worten: Was könnte der Mietendeckel oder die AöR für die Care Arbeit sein?

Denn wer von Vergesellschaftung in Bereichen der Daseinsvorsorge und produktiven Sektoren spricht, darf auch von sozialer Reproduktion nicht schweigen. Es scheint allerdings, als spiele Vergesellschaftung als Forderung in feministischen Debatten und Organisierungen bisher noch keine zentrale Rolle. Auch werden Herrschaftsverhältnisse bei Vorschlägen zu Vergesellschaftung nur begrenzt mitgedacht und es wird wenig herausgestellt, dass Vergesellschaftung auch als feministisches Projekt durchaus Schlagkraft haben kann. Folglich soll dieser Blogbeitrag einige Ansätze und Diskussionen, die auf der Vergesellschaftungskonferenz in Berlin und der „Sorgende Städte“ Konferenz in Bremen thematisiert wurden vorstellen und weiterdenken.

Was wir von munizipalistischen Bewegungen lernen können

Der Munizipalismus setzt auf der lokalen Ebene an und nutzt diese als Ausgangspunkt für eine Stadtpolitik, die Akteur*innen wie Parteien, Soziale Bewegungen, nachbar*innnenschaftliche Strukturen uvm. zusammenbringt. Der munizipalistische Ansatz steht für eine neue politische Herangehensweise, die auf (Re-)kommunalisierung öffentlicher Infrastrukturen, die Feminisierung und Demokratisierung der Politik und des politischen Raums abzielt. In der Theorie verfolgt der munizipalistische Ansatz vier Linien: Erstens: Gender Mainstreaming, was ein gezieltes Transformieren und Umbauen der Institutionen meint. Hierbei geht es um das Zentrieren von Care in lokalen Politiken, Plänen und politischen Normen, aber auch um eine Aufhebung, der Trennung in der Verwaltung. Zweitens wird das Wirtschaftliche umgebaut: Feministischen Ökonomie soll integraler Bestandteil der kommunalen Wirtschaftspolitik sein, die von der Sorge ausgehend, agiert. Drittens wird durch Repräsentationspolitiken etwa Quotierung, die politische Beteiligung von FLINTA forciert. Die vierte Handlungslinie visiert den städtischen Raum an: Wie kann der öffentliche Raum, der den männlichen Alltag priorisiert, denkt und abbildet, neu gedacht und (um)gestaltet werden?

Insbesondere aus den Erfahrungen aus der zivilgesellschaftlichen Plattform Barcelona en Comú (die seit 2017 die Regierung stellt) können interessante Perspektiven für einen linken Feminismus gewonnen werden. Zum Beispiel gelang es, Politikbereiche, die sonst voneinander getrennt verwaltet werden zusammen zuführen und integral zu denken: Fragen von Gleichstellungsbeauftragten oder der Kinderbetreuung wurden als Teil der kommunalen Wirtschaftspolitik gesehen und gemeinsam administriert.

Orte des Handels? Orte des Sorgens!

Wenn wir an Care Arbeit denken wird deutlich, dass diese orts- und personengebunden ist, also in ein lokales Netz an Beziehungen, Wegeketten und Ökosystemen eingespannt ist. Diese Eigenschaften der Sorgearbeit, können auch strategisch betrachtet und genutzt werden. Um das Leben ins Zentrum zu stellen, könnten wir Care Arbeit dort vergesellschaften, wo sie stattfindet: in den gesellschaftlichen Fabriken der Reproduktion etwa den Gemeinschaften, den Nachbar*innenschaften und den Haushalten. Wie oben bereits genannt, versucht eine munizipalistische Politik jene Spielräume auf lokaler und nachbar*innenschaftlicher Ebene auszuloten und zu nutzen, indem stadtplanerische Elemente und Orte des Sorgens anvisiert werden.

Die Strategiekonferenz in Bremen begab sich auf eine Suchbewegung rund um das Konzept der Sorgenden Stadt – für die Stadt Bremen sowie darüber hinaus. Auch in Berlin fand kürzlich eine Veranstaltung unter dem Titel „Shopping Malls zu Sorgezentren“ statt. Aus den Erfahrungen von Feminist*innen in Rosario (Argentinien), Barcelona und Chile wurden die Potenziale kommunaler Sorgezentren diskutiert. Sie können zum einen als zentrale Anlaufstellen für verschiedenen Sorgebedürfnisse fungieren (Pflege, Kinderbetreuung, Bildungsangebote, Sozialberatungen) als auch einen Raum für Selbstorganisierung, ein solidarisches Miteinander und Zusammenkommen in den Nachbar*innenschaften darstellen. Vorschläge, wie die der Sorgezentren stellen einen realen Gegenentwurf zur Verwertung von Stadtraum dar. Zwar ist die Krise der Sozialen Reproduktion eine globale Krise, die nicht lokal gelöst werden kann, jedoch ist sie lokal spür- und sichtbar. In der Vision einer Sorgenden Stadt, gilt es Sorgearbeit vom privaten in den städtischen Raum zu verlagern, etwa durch neue Care Infrastrukturen und Arrangements. Mit dem Aufbau von Sorgezentren oder Kiezstrukturen wird auf konkrete Verbesserungen im alltäglichen Leben der (sorgetragenden) Menschen gesetzt und an die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Menschen im Kiez angeknüpft. Alternative Sorgenetzwerke und lokale Institutionen, an denen Menschen bereits zusammenkommen und füreinander sorgen, zeigte das Kollektiv Raumstation auf der Konferenz in Bremen, mit seinem Mapping des Kiezes rund um den Leopoldplatz in Berlin-Wedding. Auch Genoss*innen in der Argentinischen Stadt Rosario stellten hier ihre feministischen Mapping Methoden vor, die es möglich machten, Daten zu Bedürfnissen der Bevölkerung niedrigschwellig, partizipativ und demokratisch zu erheben und kollektiv Wissen zu generieren, welches dann in lokale Politiken und Maßnahmen übersetzt werden konnte.

Literatur / Zum Weiterlesen:

Dalla Costa, M. R. (1973). Die Frauen und der Umsturz der Gesellschaft. S. James (Hg.): Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, Berlin/W.

Dengler, C., & Lang, M. (2022). Commoning care: feminist degrowth visions for a socio-ecological transformation. Feminist Economics, 28(1), 1-28.

Ezquerra, S. & Keller, C. (2022). Für eine Demokratisierung der Sorgearbeit. Erfahrungen mit feministischen Care-Politiken auf kommunaler Ebene in Barcelona. ONLINE-Studie 3/2022. Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Fried, B. & Wischnewski, A. (2022). Sorgende Städte.

Knobloch, U., Theobald, H., Dengler, C., Kleinert, A. C., Gnadt, C., Lehner, H., & im Wandel, A. (2022). Caring Societies–Sorgende Gesellschaften.

Toupin, L. & Friederike Beier (Hg.). (2022). Lohn für Hausarbeit. Chronik eines internationalen Frauenkampfs (1972–1977). Münster. Unrast Verlag.

Treu, N. & Konzeptwerk Neue Ökonomie (Hg.). (2023). Bausteine für Klimagerechtigkeit. Arbeitszeitverkürzung.

Wichterich, Christa (2017): Viele Orte überall: Care-Logik in Alternativen Projekten und Potentiale von Gegenmacht. In: Feministische Studien 35, H. 2, S. 259–275.

Winker, G. (2021). Solidarische Care-Ökonomie: Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima. transcript Verlag.

Zechner, M. (2021). Commoning care and collective power. Manuela. Childcare Commons and the micropolitics of Municipalism in Barcelona. Transversal texts.

Zechner, M. & Rübner Hansen, B. (2019) ‘Extending the family,’ In: Harvie, Barbagallo and Beuret (Eds.) Commoning with Silvia Federici and George Caffentzis. New York/London: Pluto Press.

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