Auf der Konferenz „Vergesellschaftet Bayern! Wege in eine solidarische Gesellschaft“ stellte Vincent von communia am 30. November 2024 zwei miteinander verbundene Strategien für Vergesellschaftung vor. Diese wurden maßgeblich von Andrea Dieck in der strategischen Auseinandersetzung mit und innerhalb der Initiative Deutsche Wohnen und Co. Enteignen formuliert.
Wo wir uns auf den Weg zur Vergesellschaftung machen, müssen wir anerkennen, dass sie nur auf mehreren Ebenen und mit unterschiedlichen Taktiken erreicht werden kann. Es lassen sich zwei strategische Linien fassen, die beide gemeinsam verfolgt werden müssen, die sich aufeinander beziehen und sich gegenseitig stärken und von deren gemeinsamer Ausführung ein Erfolg der Vergesellschaftung insgesamt abhängt.
Der erste strategische Strang strebt danach, eine gesetzliche Verankerung von Vergesellschaftung über den Weg staatlicher Institutionen und nach deren Regeln zu erwirken. Er begibt sich in die bewusste Auseinandersetzung mit dem Staat, auf dessen Terrain und versucht ihn mit seinen eigenen Mitteln (etwa dem Grundgesetz und dem Instrument des Volksentscheids) dazu zu zwingen, Enteignung und Vergesellschaftung einzuleiten. Auch wenn hier zunächst ein direktes Verhältnis zum Staat notwendig ist, um das Eigentumsrecht der Konzerne mittels Enteignung anzugreifen, zielt dieser strategische Ansatz längerfristig darauf ab, sich vom Staat wieder zu lösen: Indem die vergesellschafteten Infrastrukturen und Produktionsmittel an eine neuartige Form der demokratischen Selbstverwaltung übergeben werden, bei der Vertreter*innen des Staates zwar weiterhin Einfluss nehmen können, sie aber in ihrer Entscheidungsgewalt zugunsten der Nutzer*innen, Konsument*innen und Betreiber*innen deutlich eingeschränkt werden, wird die Macht des Staates langfristig reduziert.
Auf dem Terrain des Staates
Diese instrumentelle Strategie ist es, die Deutsche Wohnen und Co. enteignen bislang maßgeblich zu ihren beeindruckenden Erfolgen geführt hat. Diese Strategie benötigt einerseits eine zeitlich begrenzte aber enorme Mobilisierung von Unterstützenden, um die Hürden des Volksentscheid-Prozesses zu nehmen und in den Sammelphasen die notwendige Anzahl an Unterschriften einzuholen. Sie beinhaltet Phasen großer Aktivität, in denen mit konkreten Zielen vor Augen eine größtmögliche Präsenz gezeigt wird und in denen Menschen zur Erfüllung dieses Ziels temporär mobilisiert werden müssen. Es müssen Flyer auf der Straße verteilt werden, Infotische zum Austausch aufgestellt und von Haustür zu Haustür Gespräche geführt und Unterschriften gesammelt werden. In diesen Phasen ist die Initiative in aller Munde und erfährt auch einen Zuwachs an Aktiven. Andererseits benötigt die rechtlich-fokussierte Strategie großes fachliches und juristisches Wissen, um sich auf dem Terrain des Staates selbstbewusst bewegen zu können und sich dessen Instrumente anzueignen. Diese Auseinandersetzungen, verschärft durch die unterschiedlichste Verschleppungstaktiken, können wiederum zu längeren Durstphasen in der Kampagnenaktivität führen, in denen es schwierig sein kann, alle Aktiven einzubinden. Neben der beständigen Auseinandersetzung mit der juristischen Formulierung und Prüfung eines Vergesellschaftungsgesetzes – an der niemals alle Aktiven sinnvollerweise teilnehmen können oder wollen – fällt ein Großteil der alltäglichen Praxis weg, die während der Hochzeiten der Sammelphasen die politische Arbeit aller Mitwirkenden maßgeblich bestimmt. Hier – aber auch darüber hinaus – kann und muss der zweite strategische Strang ergänzen, der zwar weniger Aufmerksamkeit auf sich zieht, für weniger beeindruckende Schlagzeilen sorgt, dafür aber beständig, konkret und im direkten Austausch die Lücken des ersten Strategiestrangs füllen kann und muss.
Community Organizing für…
Der zweite Strategiestrang gibt Antworten darauf, wie die politische Praxis einer Vergesellschaftungsinitiative – ob im Wohnungsbereich, im Energiesektor, zu Gesundheit oder Mobilität – auch außerhalb der Sammelphasen für einen Volksentscheid aussehen kann. Er zielt darauf ab, im Hier und Jetzt mit dem Aufbau von Gegenmacht von unten anzufangen. Es geht dabei um die Frage, wie über Kampagnen-Zyklen hinaus eine gesellschaftliche Basis auf der Grundlage von geteilten Interessen organisiert werden kann. Eine Basis, die während Hochzeiten aktiv wird, aber auch unabhängig von der erfolgreichen Umsetzung eines Volksentscheids bestehen bleibt, wächst und stärker wird. Eine solche organisierte Basis braucht mittelfristig jede Vergesellschaftungsinitative. Nicht nur, um Vergesellschaftung auch gegen staatliche Widerstände durchzusetzen, sondern mindestens aus zwei weiteren Gründen:
… dauerhaften Machtaufbau
Zum einen, damit sie auf organisierte Strukturen und Menschen zurückgreifen kann und nicht alles verloren ist, wenn die Offensive über den ersten Strategiestrang (vorläufig) scheitern sollte. Auf einem Spielfeld, das auf der formellen, politischen Ebene zunehmend gegen uns aufgestellt ist, müssen wir sichergehen, dass dieses Feld nicht das einzige ist, auf dem wir uns bewegen. Für DWE heißt das unter anderem, dass im Fall eines Misserfolgs oder einer Missachtung staatlicherseits verhindert werden muss, dass Hoffnungslosigkeit und Vereinzelung bei den Mieter* innen von Deutsche Wohnen, Vonovia und co. eintreten. Im Gegenteil müssen Mieter*innen gerade dann umso dringlicher auf bestehende Netzwerke, Strukturen und Beziehungen zurückgreifen können, um weiterhin kollektiven Druck auszuüben und sich im Zweifel auch gemeinsam gegen zunehmende Prekarisierung und Verdrängung wehren zu können. Im Gegensatz zur Mobilisierung in den Sammelphasen des ersten Strategiestrangs, die in erster Linie versucht, innerhalb kürzester Zeit möglichst viele Unterstützer*innen zu finden, wo im Nachhinein aber keine weitere Einbindung notwendig oder vorgesehen ist, ist hier eine beständige und tiefer gehende Beziehungs- und Organisierungsarbeit nötig, die nicht nur darauf ausgelegt ist, Unterstützung für einen, oder sogar für zwei Volksentscheide zu bekommen. Diese Form der Beziehungsarbeit will auf mehr hinaus, als im entscheidenden Moment auf eine Unterschrift zählen zu können. Sie muss klarmachen, dass Vergesellschaftung nur im Interesse und durch die Kraft der Mieter*innen oder Nutzer*innen selbst erreicht werden wird. Es muss deutlich werden, dass die Sache, für die wir einstehen, richtig ist und auch weiterhin eine Notwendigkeit darstellen wird, selbst wenn die Kampagne, die mittels eines Volksentscheids gerade öffentlichkeitswirksam zuspitzt, nicht mehr präsent sein sollte.
Diese Form der langfristigen Organisierungsarbeit leisten aktuell besonders eindrücklich das Berliner Kiezprojekt und die Initiative Soziale Wärmewende. Zwar eng mit Deutsche Wohnen und Co. Enteignen verbunden und aus der Kampagne heraus entstanden, ist der Fokus und die Strategie der beiden Projekte eine Andere. Hier geht es nicht um den Erfolg des Volksentscheids, auch wenn der größte Teil der angesprochenen Mieter*innen sicherlich im Zuge der Zusammenarbeit davon hören und im Zweifel diesen auch unterstützen werden. In derzeit fünf Berliner Bezirken geht das Kiezprojekt in Wohnsiedlungen – die meistens einem Enteignungskandidaten gehören – und die besonders durch auslaufende Sozialbindungen oder durch überhöhte Betriebskostenabrechnungen von drastischen Mietsteigerungen bedroht sind. Mit diesen Mieter*innen wird sich ausgetauscht, werden Sorgen, Wut und Frustration geteilt und zur weiteren gemeinsamen Auseinandersetzung eingeladen.
In darauf folgenden Mieter*innenversammlungen ist der Andrang meist groß: Mit der Gewissheit, dass man in seiner Lage nicht alleine ist, dass es andere Menschen in der direkten Umgebung gibt, die mit den gleichen Sorgen zu kämpfen haben und dass es eine Möglichkeit gibt, gemeinsam etwas dagegen zu tun, fühlen viele sich ermutigt, aktiv zu werden. Den Erfahrungen des Kiezprojekts zufolge dauert es nicht lange, bis die Mieter*innenversammlungen sich verselbstständigen und von den Mieter*innen selbst durchgeführt werden. Dann ist das Ziel des Kiezprojektes erreicht, nämlich sich selbst überflüssig zu machen, indem eine organisierte Basis geschaffen wurde. In den Worten von Tanja Rakočević aus dem Projekt: „Das ist Organizing: langsam, nachhaltig und lohnenswert.“
… und zur Vorbereitung der Vergesellschaftung
Der andere Grund, weshalb Organisierungsarbeit bereits im Hier und Jetzt ansetzen muss, ist um sich auf den Erfolgsfall vorzubereiten: Im Fall der Umsetzung eines Volksentscheides und der tatsächlichen Vergesellschaftung von Grund, Boden, Produktionsmitteln oder Naturschätzen, müssen organisierte Strukturen bereits vorhanden sein, um deren Verwaltung effektiv übernehmen zu können. Das von DWE vorgeschlagene Modell stellt auf einer konzeptionellen Ebene eindrücklich dar, wie die ca. 250.000 zu vergesellschaftenden Wohneinheiten tatsächlich demokratisch verwaltet werden können. In der Praxis aber setzt die Umsetzung eines solchen Rätemodells das Erlernen einer gänzlich anderen Art des Wirtschaftens, des miteinander Verhandelns und zueinander in Beziehung Tretens voraus, das innerhalb kapitalistischer Vorherrschaft überwiegend verlernt wurde. Wo heute Mieter*innen zu ihren Nachbar*innen in weitestgehender Anonymität und Gleichgültigkeit leben, setzt die Verwaltungsstruktur der AöR eine regelmäßige Bezugnahme aufeinander, sowie zwischen den verschiedenen Räte-Ebenen von Siedlungs- Gebiets- und Stadtebene voraus. Zwischen Gegenwart und Vision liegt also eine enorme Kluft, die sich nicht von alleine mit der erfolgreichen Enteignung und Vergesellschaftung füllen lässt, sondern nur mit der geduldigen Einführung, Organisierung und schrittweisen Ermächtigung der Mieter*innen zu bewältigen ist. Eine Aufgabe, mit der wir heute beginnen müssen.
Wir müssen ernst nehmen, dass diejenigen, die wir zur Vergesellschaftung befähigen wollen – nämlich uns alle – nicht von alleine aus wissen, wie wir unsere neuen Rollen und Verantwortungen übernehmen sollen. Hierfür braucht es Fortbildungsangebote zum Um- und Erlernen einer neuen, solidarischen Beziehungsweise. Voraussetzung dafür ist eine bereits organisierte, vernetzte und aktive Basis, die in der politischen Auseinandersetzung um ihre Lebens- oder Arbeitsbedingungen lernt, dass wir gemeinsam handlungsfähig sein können. Diese Organisierung schafft überhaupt erst die Grundvoraussetzung, von der aus der Weg von Mitbestimmung und demokratischer Teilhabe beschritten werden kann.