Wie weiter mit dem Green New Deal?
Aug 10, 2022

Der Green New Deal (GND) dominierte vor zwei bis drei Jahren noch die Debatten progressiver Stimmen. Als die Bewegung der ‚democratic socialists‘ um Bernie Sanders in den USA, sowie der linke Flügel der Labour Partei um Jeremy Corbyn, den Green New Deal zum Kern ihrer Kampagne machten, wurde deutlich, dass dieser als radikaler und zugleich pragmatischer Plan das Potenzial hat, eine starke linke Bewegung hinter sich zu vereinen. Mit einem Fokus auf Intersektionalität vermochte der Green New Deal unterschiedliche Kämpfe und Akteure unter einem Dach zu vereinen und dabei das Ziel eines für zukünftige Generationen bewohnbaren Planeten mit der Bewältigung sozialer Ungerechtigkeit im Hier und Jetzt zu verbinden. Dass diese Programme nicht umgesetzt werden konnten, lag nicht an der inhaltlichen Schwäche der Forderungen, oder an den Kandidat*innen, die für sie einstanden. In Großbritannien konnten die durchaus populären Inhalte des sozialökologischen Umbaus kaum thematisiert werden, da jegliche Debatte vom Thema Brexit dominiert war, was schließlich auch den Ausgang der Wahl mit dem Sieg Boris Johnsons besiegelte, dessen politische Agenda sich auf den Slogan ‚Brexit – let’s get it done‘ reduzieren lässt. In den USA hingegen konkurrierte Sanders mit einer Weiterführung der protofaschistischen Politik Trumps einerseits und mit Joe Biden als Symbolbild einer Rückkehr zur politischen Mitte – eine vermeintliche ‚safe-bet‘ – andererseits. Die Umstände ließen nicht zu, dass die programmatischen Punkte eines progressiven Green New Deals überhaupt zur Aussprache kommen konnten.

Was bleibt?

Nach der ersten Blüte des GND mit Sanders und Corbyn erlebte er Neuauflagen, etwa als Kernprogramm der pan-europäischen Partei DiEM25, welche zum ersten mal eine radikale Version des GND auf europäischer Ebene präsentierte, oder in programmatischen Texten der Partei DIE LINKE. Leider konnten diese Adaptionen aufgrund desaströser Wahlergebnisse (Europawahl 2019, Bundestagswahl 2022) keine weitere Ausstrahlungskraft entfalten, sodass der GND als linkes, transformatorisches Projekt in Vergessenheit zu geraten droht. Dieser Trend wird verstärkt durch die Vereinnahmung des Begriffs durch die liberal-konservativen Kräfte in der EU, verkörpert durch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Mit ihrem Ausruf eines „European Green Deal“ ersetzt sie den grundsätzlich transformatorischen Charakter des GND durch ein schwaches EU-Subventionspaket und tauscht so die Programmatik eines grundlegenden Systemwandels gegen ein „grün“-liberales Wachstumsprogramm aus. Progressive Kräfte auf dem europäischen Kontinent (und darüber hinaus) haben sich zunehmend von dem einst so vielversprechenden Programm des Green New Deals entfernt und sich wieder – im besten Fall – auf rein negierende Oppositionspolitik oder – im schlimmsten Fall – dem inneren Zerfall gewidmet. Dabei benötigen die Partei DIE LINKE und die gesellschaftliche Linke heute mehr denn je ein kohärentes, zusammenführendes und konkretes Programm zu ihrer eigenen Erneuerung.

Momentum nutzen!

Die unterschiedlichen und vielversprechendsten Kampagnen für einen progressiven Green New Deal haben neben den inhaltlichen und erzählerischen Überlappungen (Lenkung von Investitionen privater Akteure, ein massives staatliches Investitionsprogramm in öffentliche Infrastrukturen zur ‚Green Transition‘, Reduzierung von Erwerbslosigkeit durch sozial sinnvolle öffentliche Beschäftigung, Dekarbonisierung) eine weitere Gemeinsamkeit: ihr relativer Erfolg war zu einem großen Teil der engen Verflechtung von sozialen Bewegungen mit Akteuren der parlamentarischen Politik – von der Formulierung des Programms, bis hin zur Umsetzung der Kampagne – zu verdanken. So trieb die sozialistische Bürger*innenbewegung rund um die Plattform ‚Momentum‘ die Kandidatur Corbyns massiv voran, während die Kampagne von Sanders durch das Sunrise Movement, die rasch heranwachsende Black Lives Matter-Bewegung, sowie durch den Widerstand gegen den Bau der North Dakota Pipeline befeuert wurde. Diese direkten und umfassenden Verbindungen zeigten sich sowohl in der Energie und Vielfalt der Befürworter*innen der jeweiligen Kampagnen, als auch in der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung der Politik-Empfehlungen, die in die beiden GND-Programme Eingang fanden.

Eine erfolgreiche Green New Deal-Kampagne in der Bundesrepublik setzt also eine starke Verbindung mit den aktiven, Diskurs-formenden progressiven Bewegungen und breite zivilgesellschaftliche Mobilisierung voraus. Neben den starken Initiativen im Bereich Klimagerechtigkeit (Fridays for Future, Ende Gelände) wurde die Bewegungslandschaft der vergangenen Jahre durch die Bürger*inneninitative Deutsche Wohnen und Co. Enteignen geprägt. Diese Bewegung schaffte es wie keine andere, anhand eines essentiellen und greifbaren Themas ein breites, diverses und energiegeladenes Bündnis zu schmieden und die Grenzen des Möglichen bundesweit diskursiv und medial zu verschieben. So wurden Mehrheiten für radikale Ideen und Konzepte geschaffen, die bis vor kurzem noch undenkbar schienen. Schon jetzt zeigt sich der Erfolg der Initiative unter anderem in der Gründung weiterer Vergesellschaftungs-Kampagnen, die gleichermaßen essentielle Sektoren der Daseinsvorsorge (Pflege, Energie, Wohnen) zu vergesellschaften versuchen (Siehe Bündnis ‚Profite schaden Ihrer Gesundheit, RWE und CO. Enteignen, Hamburg Enteignet etc.). Einem wirklich progressiven, radikalen Entwurf eines deutschen Green New Deals würde es gut tun, dieses Momentum, die inhaltliche und organisatorische Expertise und die Mobilisierungskraft dieser Bewegungen aufzugreifen, indem Vergesellschaftung und Eigentumsfragen zum Kernelement des Programms werden. Der Entwurf des Green New Deals von der britischen Labour-Left bietet Anknüpfungspunkte, da er bereits Bezug auf alternative, öffentliche Eigentumsmodelle und die Vergesellschaftung essentieller wirtschaftlicher Sektoren nimmt.

Vergesellschaftung als Kernforderung des Green New Deal

Einer der neun zentralen Programmpunkte war hier die Ausweitung öffentlichen, demokratisch verwalteten Eigentums. Dabei wird die Notwendigkeit neuer, alternativer Formen öffentlicher und kommunaler Eigentumsrechte als konkrete Alternative zur Ideologie des ‚freien Marktes‘ und dem mit ihm verbundenen Privateigentum gesehen. Diese Vergesellschaftung – in der britischen Adaption als Wendung einer Wirtschaft basierend auf ‚Extraktivismus‘ hin zu einer Wirtschaft des ‚Stewardship‘ beschrieben – bezieht sich auf etablierte, allerdings akut von Privatisierung und Abbau bedrohte, Institutionen wie den National Health Service (NHS) und schließt den Infrastruktur- und Transportsektor und die Organisation und Verwaltung öffentlicher Produktion von Gütern und Dienstleistungen inklusive Energie und Wasser ein.

Laut ‚WeOwnIt‘, einer Kampagne für öffentliches Eigentum, die an der Formulierung dieses Aspekts des Green New Deals beteiligt war, müssen Entscheidungsprozesse auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene entwickelt werden, um eine effektive Koordinierung und Kooperation verschiedener Institutionen, Gewerkschaften und lokaler Gruppen von Bürger*innen sicher zu stellen. Hierbei treffen diejenigen wichtige Entscheidungen, die am meisten von ihnen betroffen sind. So soll eine möglichst demokratische und lokale Selbstverwaltung gefördert werden, um kommunale Wirtschaftskreisläufe anzuregen und die Produktion an den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung auszurichten. Erwirtschaftete Gewinne in der öffentlichen Produktion sollten an diejenigen Arbeitenehmer*innen umverteilt werden, die tatsächlich an der Wertschöpfung beteiligt waren und darüber hinaus sozialen Zielen des Gemeinwohls zugute kommen. Darüber hinaus soll das Potenzial automatisierter, digitaler Technologien zum Vorteil der Beschäftigten genutzt werden, anstatt die daraus entstehenden Profite in die Hände privater Monopole fließen zu lassen.

Ausblick: Vergesellschaftung für den GND

Die grundlegende Umgestaltung unserer Wirtschaft und Gesellschaft erfordert ebenso grundlegende Veränderungen der Eigentumsverhältnisse. Das Projekt der rapiden Dekarbonisierung unserer Wirtschaft mittels eines Green New Deal wird nur breite Unterstützung finden und in der Umsetzung Erfolg vermelden, wenn es die Eigentumsverhältnisse in Richtung eines Modells umgestaltet, das auf Dezentralisierung, Demokratisierung und den Ausbau öffentlicher Leistungen wie Energie, Wasser, Wohnraum, Bildung, Gesundheit, Mobilität und Internet setzt. Hierzu ist es für Befürworter*innen eines GND in Deutschland unabdingbar, das Wissen und die Erfahrungen im Bewegungs-, Narrativ-, und Bündnisaufbau zu nutzen, welches Deutsche Wohnen und Co. Enteignen und andere Vergesellschaftungsinitiativen in den letzten Jahren entwickelt haben. Die Bewegungen für Vergesellschaftung und den Green New Deal gehören untrennbar zusammen. Nur so stellen wir sicher, dass die Vielen – und nicht die Wenigen – entscheiden, was wir produzieren, wie wir unseren Wohlstand verteilen, das Klima und die Natur schützen, unsere Gemeinden, Arbeitsplätze, Sozialleistungen und natürliche Ressourcen verwalten. Für eine Wirtschaft, die uns allen gehört und uns allen dient.

Lesetipps:

  • Johanna Bussemer & Katja Kipping. (2021). Green New Deal als Zukunftspakt. August Verlag
  • Ann Petifor. (2019). The Case for the Green New Deal. Verso UK.

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