Enteignet: DWE zeigt, wie progressive Politik aussieht
Nov 7, 2021

Ein Beitrag von Lemon und Max.

Der fulminante Abstimmungserfolg zum Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen!“ parallel zu Bundestagswahl und Abgeordnetenhauswahl zeigt, gerade im Gegensatz zum Abschneiden der LINKEN, wie erfolgreiche progressive Politik heute aussehen kann. Während sich bei der Abgeordnetenhauswahl gegenüber 2016 kaum relevante Veränderungen ergaben, stimmten dem Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer, profitorientierter Wohnungskonzerne fast 60% der Berliner Wahlberechtigten zu. Die Euphorie am Wahlabend war groß, Aktive der Initiative feierten im Fahrradkorso die gefühlte Rückeroberung der Stadt. Aber war der Erfolg nur eine große, lila-gelbe Seifenblase, die spätestens mit dem Sondierungspapier der möglichen neuen Rot-Grün-Roten Koalition platzen musste? So zumindest klingen einige Kommentare der Wochen nach der Wahl.

Echte Erfolge und falsche Ansätze der Kritik

Kritik gibt es von verschiedenen Seiten. Die einen sehen sich darin bestätigt, dass mit Volksentscheiden doch keine progressive Politik gemacht werden kann, weil staatliche Instrumente letztlich doch eben immer im Rahmen kapitalistischer Grundstrukturen bleiben müssen. Die anderen sehen eine Schwäche in der Distanz zu Parteien, Gewerkschaften und anderen Massenorganisationen. Die Bewegung habe keine Durchsetzungsfähigkeit, weil sie zu sehr auf Aktivismus beruhe, der für manche auch noch zu „identitätspolitisch“ also zu antirassistisch und feministisch ist. Es ist bitter, dass der Volksentscheid nicht direkt zur Vergesellschaftung führt und nun von der Parteipolitik eingeholt zu werden scheint. Dem liegt jedoch kein strategischer Fehler zugrunde, vielmehr war zu Beginn des Projekts mehr als zweifelhaft, dass es je überhaupt soweit kommen sollte. Dass es nach den Wahlen an parlamentarischen Fürsprecher*innen für Vergesellschaftungen mangelt, lässt sich wohl kaum der Initiative anlasten. Trotzdem ist nun die Zeit, in der Reflexion und Kritik sowie Strategiedebatten angebracht sind. Doch sollten diese sich gerade auch daran orientieren, was DWE gegenüber radikalen aber wirkungslosen Aktionen und Protesten einerseits und institutionalisierter Politik andererseits so erfolgreich gemacht hat. Nur aufbauend auf den bisherigen Stärken kann die Vergesellschaftung der Wohnungskonzerne in Berlin in den nächsten Jahren Wirklichkeit werden. Nur indem wir aus dem Erfolg von DWE lernen, werden Vergesellschaftungsfragen auch über den Wohnsektor hinaus gestellt werden.

Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ ist nicht aus dem nichts entstanden, nicht einfach von ein paar klugen Köpfen in der Kneipe erdacht worden, wie die bürgerliche Presse es manchmal darstellt. Vielmehr entstand DWE aus der Berliner Mieter*innenbewegung, schloss an den Mietenvolksentscheid von 2015/16 an und konnte nur durch die vielen Aktiven, die bereits bestehenden mietenpolitischen Strukturen und die vorherige Politisierung des Mietenthemas gedeihen. DWE ist es gelungen, vorige Kämpfe zuzuspitzen und die mit ihnen verbundene Eigentumsfrage radikal und realistisch zu stellen. Die Initiative hat viele vorher verstreute Aktive und Gruppen zusammengebracht und das Mietenthema zum Wahlkampfthema Nummer 1 in Berlin gemacht. Im letzten Jahr ist die Initiative enorm gewachsen. Teilweise waren mehrere tausend Menschen an der Unterschriftensammlung, Plakataktionen, dem Wahlkampf und den Haustürgesprächen beteiligt. Die dezentralen Kiezteams, die diese Größe erst möglich machten, erreichten dabei vermutlich mehr als eine Million Berliner*innen im direkten Gespräch. Mit einer vielfältigen Kommunikation in verschiedenen Sprachen, über social media, Plakate und im direkten Gespräch war es auch möglich, Menschen in ihren verschiedenen Lebensrealitäten zu erreichen.

Endlich wieder progressive Politik!

Damit ist DWE gelungen, was auf parteipolitischer Ebene seit Jahren beschworen wird aber nie gelungen ist: die Formierung einer erfolgreichen linke Sammlungsbewegung. DWE hat es geschafft, aus der linken Blase herauszukommen und die Hoffnung zu vermitteln, dass echte Veränderung möglich sein kann. Eine Hoffnung, die Parteien gerade nicht mehr zu vermitteln in der Lage sind. Gerade der Vorwurf, DWE sei wie die gesamte Linke zu sehr an reiner „Identitätspolitik“ orientiert und habe dadurch den Kontakt zu „den normalen Leuten“ verloren, ist darum kurios. DWE hat verstanden, dass ein progressives politisches Projekt nicht mehr auf der Vorstellung einer homogenen, weiß-männlichen Arbeiterklasse basieren kann, die seit mehreren Jahrzehnten bereits an den gesellschaftlichen Realitäten vorbeigeht. Das was als „Identitäspolitik“ verschrien wird, ist eben nicht nur Beiwerk sondern essentieller Aspekt einer Politik, die sich an jenen orientiert, die unter dem gesellschaftlichen Status Quo leiden.

Der Erfolg als verbindendes politisches Projekt war gerade dadurch möglich, dass DWE kein bloßer Protest war, sondern über das Instrument des Volksentscheids auch realpolitisch Druck aufzubauen vermochte. Zugleich gab die Initiative sich auch nicht der parlamentarischen Logik hin und bildete keine klaren Führungspersonen und Hierarchien aus. Stattdessen blieb sie spontan, niedrigschwellig zugänglich und begeisternd. Insbesondere die Kiezteams waren Orte, an denen Diskussionen und Aktionen mit einem gemeinsamen Bier und dem Knüpfen persönlicher Beziehungen ausklingen konnten. DWE hat auch einen beeindruckenden Entwurf für ein Vergesellschaftungsgesetz hervorgebracht. Ihre Stärke liegt aber nicht darin, im politischen Game besonders klug zu agieren und rechtliche Expertise mitzubringen, sondern darin, Menschen mitzunehmen und Visionen lebendig und vorstellbar zu machen.

Wie geht es weiter?

Dafür hat die Struktur eines Volksbegehrens – Unterschriften sammeln, nochmal Unterschriften sammeln, Wahlkampf – eine hilfreiche Struktur geboten. Wie dies nun weitergeführt werden kann, ist eine große Herausforderung, gerade weil die Strategie des zukünftigen Senats darin bestehen könnte, das Thema in institutionalisierte Kontexte zu verlegen und es in Rechtsprüfungen versanden zu lassen. Dagegen muss DWE neue Formen entwickeln, um den Druck auf den kommenden Senat aufrecht zu erhalten, Aktive einzubinden und die Verbindungen zu Mieter*inneninitiaven und anderen stadtpolitischen Akteur*innen zu stärken. So kann sie die Vision einer demokratischen und gerechten Wohnraumversorgung verbreiten.

Trotz der anstehenden Herausforderungen ist jedoch bereits jetzt klar: DWE hat das Fenster des politisch sag- und denkbaren verschoben und die Eigentumsfrage politisiert. Durch selbstbewusstes Auftreten, disziplinierte und kreative Öffentlichkeitsarbeit und Organizing vor Ort ließen sich beeindruckende Mehrheiten für progressive Politik aktivieren. Anstatt einer kleinteiligen Fehlersuche in der Initiative stellt sich darum heute mehr denn je die Frage, wie progressive Bewegungen und Parteien aus ihrem spektakulären Erfolg lernen können, um auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen die Dominanz des Privateigentums anzugreifen.

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