Hintergrund: Formen einer demokratischen Wirtschaft
Aug 13, 2021

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen adaptierten Auszug aus dem mit dem Förderpreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg ausgezeichneten Buch „Aufbruch in eine demokratische Wirtschaft“ von Lukas Warning. Im ersten Teil ging es um unterschiedliche Aspekte und Begründungen für eine demokratische Wirtschaft. Dieser zweite Teil widmet sich unterschiedlichen Formen einer demokratischen Wirtschaft.

Vielfältige Eigentumsformen

Wirtschaftsdemokratie gilt es auf allen Ebenen und sowohl in der gesellschaftlichen Planung und Ausrichtung der Wirtschaft, als auch in den Unternehmen selbst zu realisieren. Die verschiedenen (Eigentums-)Formen demokratischer Wirtschaft sind vielfältig und sollten als plural gedacht und entsprechend gefördert werden (Cumbers, 2012). Eine wichtige Form demokratischen Eigentums stellen staatliche und kommunale Unternehmen dar. Für Teile der Fundamentalökonomie können staatliche Betriebe eine geeignete Lösung sein, da sie in kapitalintensiven Sektoren demokratische Kontrolle mit den nötigen Skalen und der entsprechenden Effizienz verbinden können (Cumbers, 2012). Zentrales staatliches Eigentum kann in bestimmten Bereichen, in denen ein natürliches Monopol herrscht und großräumige Vereinheitlichung sinnvoll ist, die Versorgung auch ländlicher Regionen gewährleistet werden muss, oder wichtige Skaleneffekte erzielt werden können, sowie in Bereichen, die sehr kapitalintensiv sind, sinnvoll sein (ebd.). Dazu können beispielsweise Strom- und andere Versorgungsnetze gehören, die Bahn, Telekommunikationsnetze und Leistungen wie Internet und Post, aber auch bestimmte Industrien wie die (aus Klimaschutzgründen abzuwickelnde bzw. zu konvertierende) fossile Industrie inklusive der Stahl-, Auto- und Luftverkehrsbranchen. Langfristige Planung, die Modernisierung der Infrastruktur, die gleichmäßige Versorgung aller Bürger*innen mit quantitativ ausreichender und qualitativ hochwertiger Daseinsvorsorge und die Bekämpfung der Klimaerhitzung können so ermöglicht werden (Labour Party UK, 2017).

Eine demokratische Wirtschaft setzt jenseits der individuellen Betriebsebene voraus, dass auch betroffene Gruppen, die nicht im jeweiligen Betrieb arbeiten, wie etwa Kund*innen und Anwohner*innen, ein Mitspracherecht über das Was, Wie und Wozu des Wirtschaftens erhalten (Cumbers, 2020). Jenseits staatlicher Eigentumsformen könnte ein weiterer Ansatz die Einführung lokaler und nationaler, gesellschaftliche Interessen vertretender Wirtschafts- und Sozialräte sein, wie sie in der Verfassung der Weimarer Republik vorgesehen waren, aber nicht umgesetzt wurden. Diesen Räten Entscheidungsbefugnisse zu ermöglichen, könnte etwa durch einen Fonds mit vom Staat bzw. von der Kommune gehaltenen Unternehmensanteilen erreicht werden, dem die Räte vorsitzen (Fisahn, 2018). Weitere Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung auf kommunaler Ebene sind partizipative Bürger*innenhaushalte (Holtkamp, 2008) und Nachbarschaftsversammlungen mit starker Entscheidungsbefugnis (Brunner et al., 2017).

Dezentral und demokratisch

Kommunales Eigentum wiederum ist besonders dort sinnvoll, wo es um die Erbringung von Gütern und Dienstleistungen der Fundamentalökonomie vor Ort geht. Dezentralisierung von staatlichen Leistungen kann zu besserer demokratischer Kontrolle führen, die Ausrichtung an lokalen Bedürfnissen verbessern und die Unterstützung durch die Bevölkerung steigern. Eine Konzentration von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung in wenigen Groß- oder (Landes-)Hauptstädten wird so zudem vermieden. Die Energie- und Wasserversorgung, der öffentliche Nahverkehr, bestimmte Finanzinstitute, Krankenhäuser, Wohnungsbaugesellschaften, sowie Kultur- und Bildungseinrichtungen sind offensichtliche Kandidaten für kommunales Eigentum. Unter Umständen könnte auch die Produktion von grundlegenden Waren für die Nahversorgung in kommunaler Hand oder in Kooperation mit lokalen Genossenschaften sinnvoll sein. Die (Re-)Kommunalisierung der Träger der Daseinsvorsorge sollte daher vorangetrieben und mit stärkeren Mitgestaltungsrechten der Angestellten sowie demokratischeren Verwaltungsstrukturen als in der Vergangenheit üblich versehen werden.

Kollektivbetriebe und selbstverwaltete Unternehmen

Eine weitere wichtige Form demokratischen Eigentums stellen schließlich selbstverwaltete Betriebe, d. h. Unternehmen, die den Mitarbeitenden selbst gehören, dar. Demokratische Unternehmen stehen unmittelbar unter der Kontrolle derer, die in ihnen arbeiten, bieten also ein hohes Maß an appropriativer Gerechtigkeit und Gestaltungsmacht über die gesellschaftliche Produktion. Sie verhindern, dass Profite an sehr wenige, häufig anonyme, am Wohl der Menschen in der Kommune uninteressierte und weltweit verstreute Eigner*innen abfließen, stärken die Beschäftigungsstabilität in der Gemeinde, sind lokal verankert und weisen teils eine höhere Produktivität als Unternehmen in Privatbesitz auf (Labour Party UK, 2017; Cumbers, 2012). Auch wenn es dafür keinen Automatismus gibt, können selbstverwaltete Betriebe mit einem transformativen Anspruch die Gleichheit in der Kommune durch die Schaffung inklusiver und hochwertiger Arbeitsplätze und die Stärkung besonders benachteiligter Nachbarschaften stärken (Camou, 2016).

communia hat sich zum Ziel gesetzt, vielfältige alternative Eigentumsmodelle zu entwickeln und politische Rahmenbedingungen voranzutreiben, die eine demokratische Wirtschaft stärken. In unseren Hintergrund-Artikeln versammeln wir bestehende Ansätze,  Erfahrungen und Diskussionen, um Mut und Lust für eine Ökonomie der  Vielen zu machen.

Quellenverweise

Brunner, C., Kubaczek, N., Mulvaney, K., & Raunig, G. (Hrsg.). (2017). Die neuen Munizipalismen: Soziale Bewegung und die Regierung der Städte. transversal texts.

Camou, M. (2016). Cities developing worker co-ops: Efforts in ten cities. Imagined Economy Project. https://imaginedeconomy.org/wp-content/up-loads/2016/08/report3_citycoops.pdf

Cumbers, A. (2012). Reclaiming public ownership: Making space for economic democracy. Zed Books.

Cumbers, A. (2020). The case for economic democracy. Polity.

DeMartino, G. (2003). Realizing class justice. Rethinking Marxism, 15(1), 1–31. https://doi.org/10.1080/0893569032000063556

Demirović, A., & Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hrsg.). (2018). Wirtschaftsdemokratie neu denken (1. Auflage). Westfälisches Dampfboot.

Fisahn, A. (2018). Wirtschaftsdemokratie – verfassungsrechtliche Schranken und Möglichkeiten. In A. Demirović & Rosa Luxemburg Stiftung (Hrsg.), Wirtschaftsdemokratie neu denken (1. Auflage, S. 42–65). Westfälisches Dampfboot.

Foundational Economy Collective. (2019). Die Ökonomie des Alltagslebens: Für eine neue Infrastrukturpolitik (S. Gebauer, Übers.). Suhrkamp Verlag.

Guinan, J., & Hanna, T. M. (2018). Democratic Ownership in the New Economy. In J. McDonnell (Hrsg.), Economics for the many (S. 108–125). Verso.

Holtkamp, L. (2008). Bürgerhaushalt. In N. Kersting (Hrsg.), Politische Beteiligung: Einführung in dialogorientierte Instrumente politischer und gesellschaftlicher Partizipation (S. 222–235). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91071-0_14

Labour Party UK. (2017). Alternative Models of Ownership. Labour Party UK. https://labour.org.uk/wp-content/uploads/2017/10/Alternative-Models-of-Ownership.pdf

Meine, H., Schumann, M., & Urban, H.-J. (Hrsg.). (2011). Mehr Wirtschaftsdemokratie wagen! VSA.

ver.di AG Wirtschaftsdemokratie. (2015). Impulspapier Wirtschaftsdemokratie. Rosa-Luxemburg-Stiftung Saarland. https://saar.rosalux.de/fileadmin/ls_saar/media/2015_Impulspapier-Wirtschaftsdemokratie_verdi.pdf

Vilmar, F. (1999). Wirtschaftsdemokratie–Zielbegriff einer alternativen Wirtschaftspolitik. In Der Wohlstand der Personen. Metropolis.

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