Jenseits von Markt und Staat
Sep 19, 2021

Staat oder Markt? Im öffentlichen Diskurs und im Alltagsverständnis sind das die beiden Begriffe, auf die die Frage der Organisation der Ökonomie oftmals reduziert wird. Entweder Planwirtschaft oder Marktwirtschaft, eine andere Wahl gibt es nicht. Doch woher kommt dieses binäre Denken und wie weist eine demokratische Wirtschaft darüber hinaus?

Die moderne Trennung von Politik und Ökonomie in separate gesellschaftliche Sphären mit je eigenen, “natürlichen” und universalen Regeln ist Grundlage des Kapitalismus. Der Staat wurde dabei als die Sphäre der Macht, ihrer Verteilung und Begrenzung sowie zunehmend der demokratischen Mitbestimmung verstanden. Demgegenüber stand die bürgerliche Gesellschaft, die als vom Staat getrennter, durch Rechte (insbesondere jenes auf Privateigentum) geschützter und von der individuellen, „rationalen“ Verfolgung ökonomischer Interessen geprägter Teilbereich der Gesellschaft verstanden wurde.

Im Neoliberalismus wurde die Depolitisierung der Ökonomie auf die Spitze getrieben. Zentral für die neoliberale Ideologie ist die Binarität von Markt und Staat. So wie ein Computer ausschließlich zwischen „0“ und „1“ unterscheiden kann, kennt der Neoliberalismus nur zwei ökonomische Organisationsformen. Während “der Staat” mit Begriffen wie Zwang, Trägheit und Herrschaft belegt wird, gilt “der Markt” als Sphäre der Freiheit, Effizienz und Innovation. Alternativen zwischen und jenseits von Staat und Markt sind in der neoliberalen Ideologie nicht mehr denkbar. Angetrieben von der neoklassischen Ökonomik muss der Staat heute Marktförmigkeit auf allen Ebenen der Gesellschaft herstellen. Märkte als universelle, “natürliche” und effiziente Entscheidungsmechanismen ersetzen so in immer mehr Lebensbereichen die politische Demokratie.

Mit dem „Entweder … Oder“ brechen

Eine zentrale Frage, die sich für Progressive stellt, ist, wie „der Markt“ ersetzt werden kann. Diese Frage ist jedoch gewissermaßen vergiftet, denn sie geht neoliberalen Kategorien auf den Leim. Wenn wir davon ausgehen, dass ein einziges alternatives Organisationsprinzip „den Markt“ ersetzen muss, haben wir bereits einen Teil der neoliberalen Denkweise reproduziert. 

Stattdessen geht es darum, an den spezifischen Kontext angepasste, effiziente und dezentrale Alternativen zum Privateigentum zu entwickeln. Diese sichern die demokratische Teilhabe und die Befriedigung von Grundbedürfnissen ab. Es geht also um eine vielfältige ‚mixed economy‘, deren Basis weitgehend öffentliche, kommunale, genossenschaftliche Unternehmen oder durch Arbeiter*innen selbstverwaltete Betriebe darstellen.

Zentrales staatliches Eigentum spielt in dieser Konzeption insbesondere in kapitalintensiven, von natürlichen Monopolen geprägten Wirtschaftssektoren eine Rolle. In einem vorherigen Blogartikel von Lukas heißt es: “Dazu können beispielsweise Strom- und andere Versorgungsnetze gehören, die Bahn, Telekommunikationsnetze und Leistungen wie Internet und Post, aber auch bestimmte Industrien wie die (aus Klimaschutzgründen abzuwickelnde bzw. zu konvertierende) fossile Industrie inklusive der Stahl-, Auto- und Luftverkehrsbranchen.” In diesen Bereichen sichert staatliches Eigentum Effizienz durch großräumige Vereinheitlichung und Skaleneffekte. Gleichzeitig gilt es, demokratische Mitsprache und soziale Gerechtigkeit in staatlichen Unternehmen abzusichern. Wettbewerb und Preismechanismen im Kontext von starken Arbeiter*innenrechten würden also zunächst insbesondere im Gebrauchswarensektor eine Rolle spielen. Andere Bereiche (Gesundheit, Bildung, Strom und Wasser, Telekommunikation) wären dagegen grundsätzlich dem Markt entzogen und würden als bedingungslose Grundversorgung bereitgestellt.

Vielfältige demokratische Eigentumsmodelle

Eine Konzeption einer Demokratischen Wirtschaft, die auf einer Pluralität unterschiedlicher Eigentumsmodelle basiert, dekonstruiert die Dichotomie von Markt und Staat. Anstatt Staat und Markt zu verdinglichen, fragt sie danach, welche Eigentums- und Entscheidungsstrukturen welchem ökonomischen Kontext angemessen sind. Denn was ist Eigentum anderes als ein rechtlich strukturiertes Verhältnis zwischen Menschen; eine Art, Entscheidungen zu treffen?  Eigentumsrechte beantworten die Frage, wer in welcher Form an ökonomischen Entscheidungen beteiligt ist. Um die Ökonomie zu politisieren, brauchen wir nicht ein einziges Organisationsprinzip oder eine bestimmte Unternehmensform, sondern eine Vielfalt von alternativen Eigentumsmodellen.

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