Wem gehört die sozial-ökologische Transformation?
Jan 25, 2022

Ein Beitrag von Max

Tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen sind nötig, um die Klimakatastrophe aufzuhalten. Unter dem Schlagwort „sozial-ökologische Transformation“ werden verschiedene Modelle diskutiert, die darauf abzielen, ökologische und soziale Zielsetzungen zusammenzudenken. Ein populäres Modell ist die Donut-Ökonomie von Kate Raworth. Die Innengrenze des Donuts ist das „gesellschaftliche Fundament“, d.h. die Versorgung mit essentiellen Gütern, wie Gesundheit, Nahrung und Wohnraum, aber auch politische Teilhabe und soziale Gerechtigkeit. Die Außengrenze des Donuts stellt die ökologische Decke dar und steht für die zahlreichen ökologischen Grenzen, die es einzuhalten gilt. Dazu gehören neben Treibhausgasemissionen auch das Artensterben, Flächenverbrauch und Süßwasserverknappung. Der süße Ring des Donuts repräsentiert den „sicheren und gerechten Raum für die Menschheit“, in dem sowohl ökologische Grenzen respektiert als auch soziale Mindeststandards eingehalten werden.

Welche Transformation?

Der Donut zeigt anschaulich auf, an welchen Mindestbedingungen für ein menschenwürdiges Leben sich eine ernst gemeinte Transformation orientieren muss. Gleichzeitig lässt er viele Fragen offen und reproduziert problematische Denkmuster der Umweltbewegung. Obwohl der Donut den wichtigen Schritt tut, soziale Zielsetzungen einzubeziehen, erscheinen diese im Gesamtbild als entgegengesetzte Zielgröße zu ökologischen Grenzen und müssen mit diesen ins Gleichgewicht gebracht werden. Materieller Verzicht und Handlungsdruck durch ökologische Krisen bleiben dominierende Aspekte. Doch damit lässt der Donut eine essentielle Problematik offen. Es reicht nicht, die Grenzen zu benennen, es braucht auch die politische Kraft, den Weg in eine gerechte und nachhaltige Gesellschaft zu gehen. Wie kann die sozial-ökologische Transformation von einem angstmachenden Verzichtsnarrativ zu einem politischen Projekt werden, das eine attraktive und motivierende Vision eines guten Lebens für alle darstellt? Wie kommen wir von einem defizitären Denken hin zu einer Vision der Fülle, die ein echtes Angebot an die große Mehrheit der Menschen macht?

Die Eigentumsfrage als Ansatzpunkt für ein geteiltes politisches Projekt

Das gegeneinander Ausspielen von ökologischen und sozialen Zielsetzungen ist ein mächtiges und lähmendes Muster im öffentlichen Diskurs. Wenn wir jedoch beginnen, konsequent Eigentumsfragen zu stellen, lassen sich solche Widersprüche überwinden. Denn der wahre Widerspruch besteht zwischen einer bedürfnisorientierten Ökonomie, die allen gehört und der Ausbeutung von Mensch und Natur für Kapitalinteressen. Wie können wir konstruierte Widersprüche zwischen Sozialem und Ökologischem in der Praxis aufheben? Und welche konkreten ökonomischen Konzepte braucht es dafür? Das Konzept der bedingungslosen Grundversorgung (Universal Basic Services) und Ansätze für die Vergesellschaftung ökologisch schädlicher Industrien können auf diese wichtigen Fragen Antworten liefern.

Bedingungslose Grundversorgung

Bedingungslose Grundversorgung bedeutet, dass bestimmte essentielle Güter (Bildung, Gesundheit, Wohnen, Energie und Wasser, Telekommunikation, Mobilität) kostenfrei allen Menschen zur Verfügung stehen. Darüber hinaus setzt eine bedingungslose Grundversorgung auf nachhaltige und demokratische Alternativen zum Privateigentum in der Grundversorgung. Eine Grundversorgung, die demokratisch verwaltet ist und sich an realen Bedürfnissen orientiert, unterliegt nicht mehr dem Profitmotiv und könnte deswegen den ökologischen Umbau vorantreiben. Dafür braucht es vielfältige Eigentumsmodelle, die an den jeweiligen Kontext angepasst sind. Beispielsweise wird ein Stromnetz aufgrund von Skaleneffekten, großräumiger Vereinheitlichung und natürlichen Monopolen sinnvollerweise zentral und staatlich verwaltet (gleiches gilt für Telekommunikation und das Schienennetz). Gleichzeitig können lokale Energiegenossenschaften sowie kommunale Stadtwerke auf lokaler Ebene bedürfnisorientierte Energieproduktion und -verteilung betreiben. Ein weiteres Beispiel ist der ÖPNV. Wenn der ÖPNV kostenlos und gut ausgebaut ist, dann erübrigt sich das eigene Auto zumindest in den Städten. Eine funktionierende und ökologische Grundversorgung ist eine Bedingung für die Reduzierung des privaten Konsums. In den Worten des englischen Journalisten George Monbiot: Öffentlicher Luxus ermöglicht private Suffizienz. Eine bedingungslose Grundversorgung könnte Kern eines politischen Projekts werden, dass die dringend notwendigen Veränderungen als Chance für eine bessere Gesellschaft begreift. Klima, Umwelt und fast alle Menschen gewinnen gleichermaßen.

Vergesellschaftung der Industrie

Nimmt man die ökologischen Grenzen ernst, dann müssen bestimmte Industrien in den nächsten Jahren zügig zurückgebaut werden. In Deutschland betrifft das vor allem die Auto- und Braunkohleindustrie. Gleichzeitig heißt das nicht, dass es weniger gute Arbeitsplätze und industrielle Kapazitäten braucht. Denn dem Rückbau von schädlichen Industrien muss ein Ausbau von erneuerbaren Energien und klimaneutraler Mobilität gegenüberstehen. Dazu braucht es Wissen, Arbeitskraft und industrielle Kapazitäten. Solange sich die Produktion jedoch an privaten Interessen orientiert, wird eine Konversion der Industrie unmöglich bleiben. Finanzialisierte Großunternehmen sind strukturell darauf ausgerichtet, kurzfristige Zielsetzungen zu verfolgen. Mit Aktienoptionen und Boni werden Manager*innen an die Steigerung des Aktienwertes gebunden. Diese kurzfristigen Interessen stehen langfristigen, gesellschaftlich geteilten Interessen an guter Arbeit und sinnvoller Produktion entgegen. Bestehende Großunternehmen werden weiter durch Produktion von schädlichen Produkten wie SUVs die Klimakatastrophe verschärfen und langfristig im Zuge der Automatisierung trotzdem Arbeitsplätze abbauen. Bis auf die Aktionär*innen verlieren also alle. Es ist daher an der Zeit, solche Unternehmen zu vergesellschaften, d.h. dem gesellschaftlichen Interesse zu verpflichten und Wissen und Arbeitskraft der Menschen auf sinnvolle und bedürfnisorientierte Produktion auszurichten. Zum Beispiel kann dies der Ausbau und die Elektrifizierung des Schienennetzes, der Ausbau der erneuerbaren Energien und eines neu gestalteten Sektors für (kollektive) Elektromobilität sein. Dafür braucht es neue Konzepte von Demokratisierung und gesellschaftlichem Eigentum an Unternehmen. Mit einem solchen Programm bieten sich Chancen für Kooperation zwischen Umwelt- und Klimabewegung sowie Gewerkschaften. Anstatt gegen oder für Arbeitsplätze zu argumentieren, wäre die gemeinsame Frage, wie eine Vergesellschaftung zum Zwecke der bedürfnisorientierten Produktion aussehen könnte. Dazu ist eine Vielzahl von Konzepten denkbar: Überführung in Selbstverwaltung durch Arbeitende, Demokratisierung durch strukturelle Verankerung von gesellschaftlichen Interessen in Unternehmensstrukturen, regionale Transformationsräte mit Entscheidungsbefugnis oder öffentliche Investitionsfonds mit ökologischer Ausrichtung.

Fazit: Eine sozial-ökologische Transformation, die uns gehört

Damit die sozial-ökologische Transformation gelingt, muss sie die falschen Widersprüche zwischen ökologischen und sozialen Zielen auflösen. Um ausreichenden politischen Druck aufzubauen und aufrecht zu erhalten, müssen Klima- und Umweltbewegung auf der einen und die Interessen der lohnarbeitenden Bevölkerung – in Gewerkschaften und darüber hinaus –  verbunden werden. Als geteiltes politisches Projekt kann gelingen, was ansonsten in einer grün-gelb-gestreiften Reform des Kapitalismus oder Schlimmerem enden wird. Dafür bietet das mutige Neudenken der Eigentumsverhältnisse den natürlichen Hebel. Indem wir uns kollektiv die Wirtschaft aneignen, machen wir die sozial-ökologische Transformation zu einem gemeinsamen Projekt. Für eine Transformation, die das Klima schützt, soziale Gerechtigkeit herstellt und unsere Wirtschaft demokratisiert!

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